Ein alter Bekannter sorgt für neue Probleme
Jeden Winter, meistens zwischen Dezember und Februar, beginnt auf der Nordhalbkugel eine neue Grippesaison. Bemerkenswert dabei ist neben der beeindruckenden Regelmäßigkeit, dass das Ausmaß der Grippewelle stark schwankt(1) . So wurden zum Beispiel in Berlin in der letzten schweren Grippesaison, der Saison 2012/13, 1.712 Erkrankungen gemeldet, während es in der Saison 2013/14 lediglich 180 waren(2) . Nachdem es in der laufenden Grippesaison zunächst nur wenige Erkrankungsfälle gegeben hatte, ist deren Zahl in den letzten Wochen stark gestiegen. Gemäß dem aktuellen Wochenbericht der zum Robert Koch Institut gehörenden Arbeitsgemeinschaft Influenza hat die diesjährige Grippewelle in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht und das Ausmaß der extrem starken Grippesaison 2012/13 inzwischen leicht überschritten(3) .

Im Dezember 2014 sagten Experten ein Anziehen der Grippeepidemie voraus. Ihre Vermutung begründeten sie mit der Entdeckung, dass circa die Hälfte der H3N2-Viren, die aktuell die Grippe auslösen, so viele neue Mutationen aufweist, dass sie von den verfügbaren Impfstoffen voraussichtlich nicht ausreichend bekämpft werden können(4)
. Das Influenzavirus H3N2 ist schon seit 1968 bekannt, als es im Zuge der so genannten Hongkong-Grippe eine weltweite Pandemie auslöste. Seither tauchte es regelmäßig im Rahmen der alljährlichen Grippewellen auf. Doch wie kommt es zu solch problematischen Mutationen?
Die für die Grippe verantwortlichen Influenzaviren gehören zur Gruppe der segmentierten RNA-Viren. Das bedeutet, dass das Erbgut nicht aus einem einzelnen durchgehenden Strang besteht, sondern aus insgesamt acht kurzen Erbgut-Stückchen, den Segmenten. Bei einer Virusinfektion werden diese Segmente nach der Vervielfältigung des Erbguts (Replikation) ungeordnet auf die neu gebildeten Viren verteilt. So können sehr schnell Viren entstehen, die sich stark voneinander unterscheiden, da sie unterschiedliche Mutationen tragen.
Besondere Bedeutung kommt der Segmentierung des Erbguts im Falle einer Infektion mit zwei unterschiedlichen Influenzaviren zu. Ist dies der Fall, kann es zur so genannten Reassortierung kommen. Das bedeutet, dass die Segmente von zwei verschiedenen Viren-Typen nach der Vermehrung miteinander vermischt werden, und ein vollkommen neuer Virus-Subtyp entsteht. Dies war auch die Ursache beim Ausbruch der Hongkong-Grippe 1968; damals vermischten sich die Genome von Geflügelpest- und Influenzaviren.
Der Name H3N2 kategorisiert die zwei für die Ansteckung wichtigsten Oberflächenproteine des Virus: das Hämagglutinin (H) und die Neuraminidase (N). Mit den Zahlen wird die Form dieser Proteine näher definiert. Das Hämagglutinin sorgt dafür, dass das Virus an Wirtszellen andocken kann, um so die Infektion zu starten. Nach der Replikation und der Virusvermehrung in der Zelle dient die Neuraminidase dazu, die neugebildeten Viren von der Oberfläche der Wirtszelle abzulösen, um neue Zellen infizieren zu können. Da diese Proteine für die Influenzaviren so essenziell sind, bieten sie auch im Kampf gegen die Viren gute Ansatzpunkte. Seit einiger Zeit werden beispielsweise Neuraminidase-Hemmer eingesetzt, die nach der Infektion die Ausbreitung des Virus im Körper eindämmen, indem sie verhindern, dass die replizierten Viren die infizierten Wirtszellen verlassen.
Des Weiteren ist das Hämagglutinin ein guter Angriffspunkt für Antikörper. Diese bildet der Körper während einer Virusinfektion selbst und „speichert“ sie für die Zukunft, wenn die Infektion vorüber ist. Um einer Erkrankung vorzubeugen, ohne sich erst mit dem Virus anstecken zu müssen, wird heutzutage für verschiedene Zielgruppen eine Grippe-Impfung empfohlen. Dabei werden üblicherweise abgeschwächte - also nicht infektiöse - Viren eingesetzt, die keine Erkrankung hervorrufen, aber dennoch zur Bildung von Antikörpern gegen das Virus führen. Hierbei spricht man auch von aktiver Immunisierung(5)
. Von passiver Immunisierung spricht man, wenn direkt Antikörper gegen den jeweiligen Erreger, etwa von Tollwut oder Tetanus, gegeben werden, zum Beispiel um akut auf eine bereits erfolgte Infektion zu reagieren. Dabei entsteht jedoch kein Langzeitschutz, da der Empfänger die Antikörper nach einiger Zeit abbaut.
Wegen der schnellen Veränderungsrate und der hohen Varianz der Influenzaviren sind die Pharmaunternehmen bemüht, unentwegt aktuelle und verbesserte Impfstoffe herzustellen. Dabei kommt auch der Biotechnologie eine wichtige Rolle zu, da einige Grippe-Impfstoffe mittlerweile in Zellkulturen produziert werden, und es erste Ansätze dafür gibt, Saison-unabhängige wirksame Grippe-Impfstoffe zu entwickeln.
Literatur-Tipps:
(1) http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/03_15.pdf...
(2) http://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2015/02/Grippewelle-2015-Virus-Berlin-Brandenburg-Interview-Buda.html
(3) Buda et al., Influenza-Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza für die Kalenderwoche 8 (14.02. bis 20.02.2015)
(4) https://influenza.rki.de/CirculatingViruses.aspx
(5) http://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/faq_ges.html