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Die Zukunft der T-Zell-Therapien

Die neuartige immunonkologische Krebstherapie mit gentechnisch hergestellten CAR-T-Zellen ist eine vielversprechende Behandlungsmöglichkeit für bestimmte Patienten mit therapieresistenten Krebserkrankungen des Blut- und Lymphsystems. Auf den Deutschen Biotechnologietagen im April 2019 in Würzburg wurde in einem von vfa bio und dem BPI unterstützten Symposium erörtert, was in naher Zukunft von diesem Therapieprinzip und verwandten Therapien zu erwarten ist.

Referenten (v.l.n.r.): Dr. Martina Schüßler-Lenz (EMA und PEI), Dr. Michael Hudecek (Univ. Würzburg), Dr. Katja Schmidt (Novartis Pharma), Dr. Kai Pinkernell (Medigene)

CAR-T-Zellen werden im Labor aus körpereigenen T-Lymphozyten (T-Zellen) des Patienten erzeugt. Mittels ungefährlicher Viren bestückt man diese mit dem Gen für einen Rezeptor, der – ähnlich wie ein Antikörper – ein ausgewähltes Oberflächenmolekül (ein Antigen) der Krebszellen erkennen kann. Daher der Name CAR – er steht für chimäre Antigen-Rezeptoren (CAR). Nach der Re-Infusion der veränderten T-Zellen in den Patienten werden diese bei Bindung an die passenden Antigene aktiv und vernichten die Krebszellen. Da bei diesem Behandlungsschema der Patient selbst die Zellen zu den CAR-T-Zellen beigesteuert hat (es also autologe Zellen sind), lösen diese keine Immunreaktionen aus.

Bislang sind zwei Therapien zugelassen, die CAR-T-Zellen gegen bestimmte Krebsarten verwenden, bei denen sich Krebszellen aus B-Zellen entwickelt haben [akute lymphoblastische Leukämie (ALL) bei Kindern; diffuses großes und mediastinales großzelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL bzw. PMBCL)]. Diese CAR-T-Zelltherapien basieren auf Rezeptoren gegen CD19-Moleküle, die auf der Oberfläche von B-Zellen und deren malignen Abkömmlingen sitzen. Weitere CD19-CAR-T-Zell-Therapien sind bald zu erwarten. Etwa die Hälfte der fast 400 im US-Register ClinicalTrials.gov aufgeführten Studien mit CAR-T-Zellen basiert auf CD19-Antigenen.

Statt vom Patienten selbst stammende T-Zellen werden in Studien auch Zellen von gesunden Spendern eingesetzt. Bei ihnen muss man allerdings nicht nur ein geeignetes CAR-Gen einfügen, sondern auch Gene entfernen, die die Zellen für den Patienten als „fremd“ erkennbar machen. Solche „Off-the-Shelf CAR-T-Zellen“ wären für viele Patienten gleichermaßen einsetzbar und könnten „auf Vorrat“ produziert werden. Allerdings berichtete Dr. Kai Pinkernell, CMO und CDO beim Unternehmen Medigene, dass erste Tests darauf hinweisen, dass sie eventuell nicht so lange im Körper des Patienten aktiv bleiben könnten wie die autologen Zellen.

CAR-T-Zellen gegen weitere Tumorarten

Um mit einer CAR-T-Therapie auch maligne Immunzellen zu adressieren, die kein oder auch nur wenig CD19 bilden, mussten andere, geeignete Antigene identifiziert werden. Darauf ging Dr. Michael Hudecek, Universität Würzburg, ein. Plasmazellen exprimieren beispielsweise kein CD19, dafür aber das Oberflächenmolekül SLAMF7 (CD319), B-Lymphozyten neben CD19 auch das B-Cell Maturation Antigen (BCMA). SLAMF7 wird intensiv daraufhin getestet, ob es sich als Ziel für eine Immuntherapie des multiplen Myeloms (Plasmazell-Myelom) eignet. Im Mausmodell vernichten SLAMF7 CAR-T-Zellen Lymphozyten mit hoher Antigendichte, sind aber wenig effektiv gegen Zellen, die nur wenig SLAMF7 aufweisen.

Ein Zielantigen auf blutbildenden Zellen ist ein Protein namens FLT3. Das Transmembranprotein findet man auf hämatopoetischen Stammzellen und deren Abkömmlingen. Es ist ein essentieller Faktor für die Vermehrung bösartiger, blutbildender Vorläuferzellen bei Patienten mit akuter myeloider Leukämie (AML). Bei vielen AML-Patienten ist das FLT3-Gen durch Mutationen besonders aktiv. Für eine besonders effiziente Therapie setzten Forscher auf einen Trick: sie inhibierten zunächst FLT3 mit einem kleinen Molekül (Crenolanib). Als Abwehrreaktion bildeten die Krebzellen umso mehr FLT3. „Genau das macht sie aber zu einem besonders guten Ziel für FLT3 CAR-T-Zellen“, so Hudecek. „Die Ergebnisse unserer Tests an Zellen und Mäusen waren derart überzeugend, dass wir jetzt eine erste klinische Studie entwerfen.“

Bei soliden Tumoren zeigen sich CAR-T-Zellen laut Dr. Pinkernell bisher nicht so effektiv, weil viele ihrer Tumorantigene im Inneren der Zellen zu finden sind und nicht auf der Zelloberfläche, wo sie für CAR-T Zellen zugänglich sind. Ein weiteres Problem ist das Gewebe am Tumorrand. Für eine erfolgreiche Immuntherapie müssten therapeutische T-Zellen über zusätzliche Mechanismen verfügen, um diese Barriere anzugreifen. Dies könnte gelingen, indem man therapeutische T-Zellen so verändert, dass sie Stopp-Signale, die Tumorzellen zur Verteidigung aussenden, als Angriffsbefehle interpretieren. Laut Dr. Pinkernell werden derzeit auch Tumor-infiltrierende T-Zellen als therapeutischer Ansatz getestet, und das bereits in klinischen Studien. Dafür werden T-Zellen aus den Tumoren von Patienten isoliert und außerhalb des Körpers vermehrt, um dann ihre Reaktivität gegen den Tumor wieder zu erlangen.

TCR-T-Zellen gegen Krebs

Statt mit einem chimären Rezeptor kann man die zur Therapie bestimmten T-Zellen gentechnisch auch mit einem passgenauen natürlichen T-Zell-Rezeptor (TCR) ausrüsten, der aus gesunden Spendern isoliert wurde. Auch diese Möglichkeit stellte Dr. Pinkernell vor. Diese TCRs sind in der Membran von T-Zellen verankerte Molekülkomplexe, die bei einer anderen Zelle Antigene aus deren Innerem erkennen können, wenn Fragmente davon auf der Oberfläche präsentiert werden (was bei Zellen routinemäßig geschieht). Für diese Präsentation haben Zellen eigene Präsentationsvorrichtungen auf ihrer Membran, sogenannte HLA-Moleküle.

Einerseits erweitert diese Strategie das Spektrum an Antigenen, gegen die man therapeutisch wirksame T-Zellen herstellen kann. Andererseits eignet sie sich nach jetzigem Erkenntnisstand aus immunologischen Gründen nur für eine Realisierung mit autologen T-Zellen, nicht Spenderzellen. Klinische Studien zur Verträglichkeit und Wirksamkeit von TCR-T-Zell-Therapien gegen verschiedene Krebsarten haben begonnen, auch bei Medigene.

T-Zell-Therapien mit „Hauptschalter“

Eine besondere Eigenschaft dieser Gentherapien ist, dass die Therapeutika – also die genmanipulierten T-Zellen – sich weiter vermehren und in der Regel sehr lange aktiv sind. Das ist oft gewollt, aber nicht immer unbedingt vorteilhaft. So verursachen beispielsweise die CAR-T-Zellen nicht selten lebensgefährliche Zytokinstürme im Körper der Patienten. In solchen Fällen wäre es wünschenswert, wenn man das Therapeutikum für eine Weile „abschalten“ und später wieder aktivieren könnte. Hudecek arbeitet an einem solchen Mechanismus.

Gentherapie-Revolution mit Hindernissen

In den kommenden Jahren ist mit Zulassungen neuer CAR-T-Zellen im zweistelligen Bereich zu rechnen. Dr. Martina Schüßler-Lenz, Vorsitzende des Ausschusses für neuartige Therapien (Committee for Advanced Therapies) der EMA und Mitarbeiterin der Arzneimittelbehörde Paul-Ehrlich-Institut, sagte auf dem Symposium: „Ich erwarte bis Ende 2020 mindestens zehn weitere Anträge auf Zulassung der Arzneimittel für neuartige Therapien, wovon die meisten genetische Immuntherapien zur Behandlung von Leukämien und Lymphomen sein werden.“ CAR-T-Zellen gelten als neuartige Therapeutika, die in der EU über das für solche Produkte geschaffene PRIME Verfahren beschleunigt zugelassen werden können.

Kliniken kämpfen mit dem Problem, dass solange sie noch keine NUB-Entgelte (NUB = neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) mit den Kassenverbänden verhandelt sind, Patienten auch für zugelassene Produkte Einzel-Anträge auf Kostenerstattung stellen müssen. „Dafür müssen allerdings Patient, behandelnde Ärzte, das Klinikum und Krankenkassen sehr eng und koordiniert zusammenarbeiten“, sagte Dr. Katja Schmidt von Novartis Pharma. Diese Phase der Einzelfallanträge dauert solange, bis dann NUB-Entgelte verhandelt sind. Das geschieht aber nur einmal im Jahr, wobei die Anträge bis 31. Oktober gestellt sein müssen. In der Praxis dauere dies viel zu lange, waren sich die Experten auf dem Symposium einig.

Kosten

CAR-T-Zell Therapien – so Dr. Katja Schmidt – basieren auf den patienteneigenen Immunzellen und bringen hohe Anforderungen an Herstellung und Logistik, insbesondere an die Qualitätssicherung, mit sich. Sowohl die medizinischen Fachkräfte als auch die Zentren werden speziell geschult, sodass sie in der Lage sind, diese Therapien nach den hohen Qualitätsstandards zu verabreichen und Nebenwirkungen gut zu erkennen und zu behandeln. Die Zulassung dieser Produkte ist überdies an Pläne für das Risiko-Management, Follow-up-Pläne und die Bildung von Patientenregistern gebunden. Zudem ist jede Dosis das Ergebnis eines hochgradig individualisierten, innovativen Herstellungs- und Supply-Chain-Prozesses. Das ist ein weiterer Grund, warum man diese Therapien nur von speziellen Zentren durchführen lassen will.

Die Novartis Pharma GmbH hat mit einigen Krankenkassen für die Erstattung ihrer CAR-T-Zelltherapie einen Vertrag über ein innovatives Erstattungsmodell abgeschlossen. Diese vertragliche Vereinbarung solle zur beschleunigten Patientenversorgung und einer nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitssystems beitragen.

Begrenzte Herstellerkapazitäten

Das aktuell größte Hindernis für die Anwendung der neuartigen Therapien sind laut Dr. Schüßler-Lenz die Herstellerkapazitäten. Immunzellen deutscher Krebspatienten müssten bislang für die genetische Aufrüstung in die USA gesandt werden. Die Hersteller seien auf zwei Jahre ausgelastet. Dieser Stau werde sich in naher Zukunft nicht auflösen, auch wenn neue Produktionsstätten in Europa in Planung sind.

Dennoch herrscht allerorten großer Optimismus. Dr. Pinkernell schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Ich bin absolut sicher, dass die gentechnische Zelltherapie heute kaum vorstellbare Veränderungen in der Medizin mit sich bringen wird.“