Wenn das Kraftwerk der Zelle repariert werden muss
Mitochondrien sind Zellorganellen und besitzen eine eigene DNA. Treten dort Mutationen auf, können diese zu schweren, vererbbaren Krankheiten führen. Forscher haben deshalb ein Verfahren entwickelt, das Defekte auf der Mitochondrien-DNA mit einer Genschere korrigieren kann. In verschiedenen Versuchen konnten sie die Effektivität ihres Verfahrens zeigen.

Organellen mit eigenem Erbgut
In Schullehrbüchern werden sie oft als Kraftwerke der Zelle bezeichnet: Die Mitochondrien. Diese Organellen entstanden im Laufe der Evolution, als zwei Einzeller eine Symbiose eingingen(1) . Heute sind Mitochondrien in jeder Tier- und Pflanzenzelle zu finden; ihre Aufgabe ist es, aus Nährstoffen den universellen Energieträger ATP (Adenosintriphosphat) zu gewinnen und so die Zelle mit der benötigten Energie zu versorgen. Ein Relikt aus der Ursprungszeit der zellulären Symbiose ist erhalten geblieben: Mitochondrien besitzen eine eigene DNA (mtDNA), auf der 37 Gene mit Bauanleitungen für 13 Proteine liegen, die die Mitochondrien für ihre biochemischen Prozesse benötigen. Dies ist jedoch nur ein kleiner Teil aller Proteine, die in Mitochondrien vorkommen – die übrigen 99% der Proteine sind in der DNA im Zellkern codiert und werden erst nach ihrer Synthese in die Mitochondrien transportiert(2) .
Defekte Mitochondrien können Krankheiten verursachen
Wie bei der DNA im Zellkern, kann es auch bei der mtDNA zu Mutationen kommen, die bei der Zellteilung an die Mitochondrien der Tochterzellen weitergegeben werden. Verliert dabei ein mitochondriales Protein seine Funktionsfähigkeit ganz oder teilweise, kann dies zu einer genetisch bedingten Erkrankung führen. Jedoch muss immer ein Großteil der Mitochondrien betroffen sein, da in einer Zelle viele dieser Organellen vorkommen und diese so Funktionsverluste kompensieren können. Experten schätzen, dass je nach Gendefekt 60 bis 95 Prozent der Mitochondrien defekt sein müssen, bevor es zu Ausfallerscheinungen kommt(3) . Aufgrund ihrer zentralen Funktion in Zellen können Mitochondrien mit beschädigten Proteinen verschiedenste Krankheitsbilder hervorrufen. Am häufigsten sind Muskeln, das Herz und das Gehirn betroffen, also Organe mit hohem Energieverbrauch. Bekannte Zusammenhänge mit defekten Mitochondrien gibt es etwa bei der Rhabdomyolyse (das Absterben/Auflösen bestimmter Muskelzellen, zum Beispiel im Herzen) oder dem Leigh-Syndrom (eine Erkrankung mit Degeneration des Gehirns und des zentralen Nervensystems)(4) .
Eine Genschere für die mtDNA
Ein internationales Team unter Beteiligung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns in Köln hat nun ein Gentherapie-Verfahren zur Behebung von Defekten der mtDNA entwickelt(5) . Hierzu optimierten sie ein Werkzeug, das in der Gentechnik bereits seit längerem eingesetzt wird, sogenannte TALENs. TALENs sind Protein-Moleküle und gehören zu den Nukleasen. Diese Enzyme schneiden DNA an bestimmten Stellen und ermöglichen so, dass andere DNA-Stücke an den geschnittenen Stellen eingefügt werden können. Im Unterschied zu anderen Genscheren wie Zinkfinger-Nukleasen erkennen TALENs längere Zielsequenzen auf der DNA, was ihre Präzision erhöht.
Wie die Genschere funktioniert
Um die neu entwickelte TALEN-Variante für Mitochondrien – mitoTALEN genannt – zu testen, wurde ein Maus-Modell genutzt, bei dem ein Gen auf der mtDNA mutiert ist, sodass fehlerhafte Proteine gebildet werden. Das hat zur Folge, dass die Mäuse Muskelleiden und Störungen der Zellatmung entwickeln. Mithilfe eines Virus, dem seine krankmachenden Eigenschaften entfernt wurden, haben die Wissenschaftler therapeutische DNA in die Mauszellen mit mutierter mtDNA gebracht. Dort wurde die therapeutische DNA ausgelesen, und mitoTALENs wurden gebildet. Ein Signalpeptid am Anfang der mitoTALENs lotste diese in die Mitochondrien, wo sie spezifisch an die Sequenz der mtDNA banden, in der der Gendefekt lag. Durch den Schnitt der mitoTALEN-Genschere wurde dann die fehlerhafte mtDNA stark geschädigt, was zum Abbau der betroffenen Mitochondrien führte. Die Mäuse wiesen im Anschluss eine signifikante Reduktion der mtDNA mit Mutation auf, was zu einer Linderung der Krankheitssymptome führte.
Eine Alternative zu Eingriffen in die Keimbahn
In einer früheren Studie von 2015 unter Beteilung derselben Forschergruppen konnte bereits gezeigt werden, dass man mit mitoTALENs Mutationen der Mitochondrien-DNA bereits in der Keimbahn behandeln kann(6) . Da Keimbahn-Eingriffe beim Menschen jedoch ethisch kontrovers diskutiert werden und zudem mit einer aufwendigen Prozedur zur künstlichen Befruchtung verbunden sind, stellen die jüngsten Ergebnisse einen großen Fortschritt dar, da sie nicht auf Interventionen der Keimzellen abzielen. Nunmehr genügt eine Injektion des Virus, der die mitoTALEN-Werkzeuge in die Zielzellen bringt. Da jedes Mitochondrium mehrere Kopien der mtDNA und jede Zelle wiederum mehrere Mitochondrien aufweist, ist es zudem nicht notwendig, dass das Genome-Editing in jeder Zelle stattfindet. Es ist vielmehr ausreichend, wenn ein hinreichend großer Anteil an Mitochondrien frei von der Mutation ist. Diese vermehren sich dann durch Zellteilung, während Mitochondrien mit von mitoTALENs geschnittener DNA abgebaut werden.
Auch humane mtDNA-Fehler könnten mit mitoTALENs korrigiert werden
Ob sich die Genschere für Mitochondrien grundsätzlich auch beim Menschen einsetzen ließe, haben die Forscher anhand künstlich hergestellter Eizellen getestet, bei denen Mitochondrien-Defekte, die zu Leberscher Optikusneuropathie mit Dystonie (LHOND, eine Augenerkrankung) bzw. dem NARP-Syndrom (Neuropathie, Ataxie und Retinitis pigmentosa) führen, mit mitoTALENs im Laborversuch erfolgreich korrigiert wurden. Ziel der Forscher war es daher auch, mit ihren Experimenten die Grundlagen für eine spätere Anwendung des mitoTALEN-Verfahrens beim Menschen zu schaffen, denn mitochondriale Erkrankungen gehören heute zu den am zweithäufigsten diagnostizierten genetischen Erkrankungen(7) . Bevor mitoTALENs zur Therapie eingesetzt werden können, werden allerdings noch mehrere Jahre vergehen. Zunächst müssen die Übertragbarkeit des neuen Verfahrens mit dem viralen Vektor auf menschliche Zellen sowie die Sicherheit dieser Genschere getestet werden. Jedoch eröffnen die in den renommierten Fachmagazinen Cell und Nature Medicine publizierten Arbeiten erstmals Ansätze, um auch mitochondriale Gendefekte zu korrigieren.
Literaturtipps
(1) https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/endosymbiontentheorie/3635
(2) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0925443917300583
(3) https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62614/Genome-Editing-lindert-Mitochondriopathien-im-Tierexperiment
(4) http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Friedrich-Baur-Institut/de/krankheitsbilder/mitochondriale_erkrankungen/index.html
(5) https://www.nature.com/articles/s41591-018-0166-8
(6) https://www.cell.com/cell/pdf/S0092-8674(15)00371-2.pdf
(7) https://www.mpg.de/12299210/mitochondriale-erkrankungen-gentherapie