Paul-Martini-Preis 2021 für neue experimentelle Therapie der Herzinsuffizienz mit Antisense-RNA
Am 19. April 2021 wurde Prof. Dr. Dr. med. Thomas Thum, Kardiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover und Direktor des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover, mit dem Paul-Martini-Preis für die Konzeption und erste Erprobung einer neuen Therapieform der chronischen Herzschwäche (Herzinsuffizienz) ausgezeichnet. Zusammen mit seinem Team entwickelte er eine innovative Behandlungsstrategie basierend auf Antisense-RNA.

Nicht-kodierende RNA-Moleküle spielen wichtige Rolle bei Herzinsuffizienz
Zu Herzinsuffizienz kommt es häufig durch Veränderungen der Struktur des Herzmuskels, der dabei an Pumpleistung verliert. Wie Thum herausfand, sind daran mehrere von den Herzmuskelzellen – auch als Kardiomyozyten bezeichnet – gebildete nicht-kodierende RNA-Moleküle beteiligt, die jeweils die Aktivität mehrerer Gene steuern. Nicht-kodierend bedeutet, dass diese RNAs nicht wie üblich die Bauanleitung für ein bestimmtes Protein tragen, sondern vor allem regulatorische Aufgaben in den Zellen haben.
Die RNA H19 wirkt dabei der Veränderung der Kardiomyozyten entgegen, wird aber bei Herzinsuffizienz herunterreguliert. Die mikroRNA (miRNA) miR-132 aktiviert hingegen solche Gene, die bei Herzinsuffizienz zur krankhaften Veränderung des Herzmuskels führen. Deshalb entwickelten Thum und sein Team einen Wirkstoff, der miR-132 in den Kardiomyozyten abfangen kann: eine synthetische Antisense-RNA. Nach positiven Ergebnissen bei verschiedenen Tiermodellen konnten sie diesen miRNA-Blocker, genannt CDR132L, schließlich in einer ersten Studie mit 28 Patienten mit chronischer Herzschwäche erproben. Dabei erwies sich der Wirkstoff als gut verträglich, und es fanden sich erste Hinweise auf eine therapeutische Wirksamkeit. Nun ist eine Phase-II-Studie mit dem Wirkstoff geplant.
Die chronische Herzinsuffizienz, an der allein in Deutschland über 2 Millionen Menschen leiden, ist bislang nur eingeschränkt behandelbar. Doch Professor Thum hat mit seinem Team neue therapeutische Angriffspunkte identifiziert, hat darauf aufbauend einen Wirkstoff entwickelt und ihn nun erstmals erfolgreich mit Patienten erprobt. Das macht Hoffnung auf Therapiefortschritt und ist ein hervorragendes Beispiel für die Translation vom Labor zur Therapie.»
Wie wirken Antisense-Medikamente?
Es gibt bisher erst drei zugelassene Medikamente mit Antisense-RNA. Das Molekül CDR132L könnte, wenn die weitere Entwicklung gelingt, die erste Antisense-RNA für die Behandlung einer Herzerkrankung werden.
Antisense-RNA greift in die Genregulation von Zellen ein: Sie verbindet sich mit zelleigenen RNA-Molekülen mit passender Basensequenz und setzt sie dadurch außer Funktion. Die Zielmoleküle können kodierende mRNA-Moleküle für die Proteinsynthese sein oder regulatorische, nicht-kodierende RNA-Moleküle, wie im Fall der von Thum adressierten miR-132.
Der Preisträger
Prof. Dr. Dr. med. Thomas Thum wurde promoviert sowohl in klinischer Pharmakologie als auch molekularer Kardiologie. Nach Tätigkeiten an der Medizinischen Hochschule Hannover, am Imperial College London und an der Universitätsklinik Würzburg wurde er Professor und Kardiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover und Direktor des dortigen Instituts für molekulare und translationale Therapiestrategien. Seit Anfang 2021 ist er zudem Direktor des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover und weiterhin Gastprofessor am Imperial College London. 2016 gründete er das Unternehmen Cardior Pharmaceuticals GmbH, dessen Chief Scientific Officer er ist.
Professor Thum, Autor oder Co-Autor von mehr als 400 Originalpublikationen, hat schon etliche Forschungspreise gewonnen und hält über 40 Patente, von denen bereits mehrere auslizensiert wurden.
Wie eine Antisense-Therapie bei Herzinsuffizienz helfen soll und welche Rolle Translation in der modernen Medizin spielt, erklärt Prof. Thum in einem Interview mit der Journalisitin Susanne Kutter für die Paul-Martini-Stiftung:
Die Paul-Martini-Stiftung
Die gemeinnützige Paul-Martini-Stiftung mit Sitz in Berlin fördert die Arzneimittelforschung sowie die Forschung über Arzneimitteltherapie und intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zwischen medizinischen Wissenschaftlern in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden Pharmaindustrie, anderen Forschungseinrichtungen und Vertretern der Gesundheitspolitik und der Behörden. Träger der Stiftung ist der vfa, Berlin, mit seinen derzeit 47 Mitgliedsunternehmen.
Die Stiftung ist benannt nach dem herausragenden Bonner Wissenschaftler und Arzt Professor Paul Martini (1889-1964) in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Förderung und Weiterentwicklung der klinisch-therapeutischen Forschung, die er mit seiner 1932 veröffentlichten „Methodenlehre der therapeutischen Untersuchung“ über Jahrzehnte wesentlich geprägt hat.