Paul-Martini-Preis für neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei seltenen Krebsarten dank molekularer Tumorcharakterisierung
Am 2. Mai 2022 erhielten Prof. Dr. med. Stefan Fröhling und Prof. Dr. med. Hanno Glimm vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg und Dresden den Paul-Martini-Preis für die Entdeckung neuer Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten für Patient:innen mit seltenen Krebsarten. Der Preis wird jährlich von der Paul-Martini-Stiftung für herausragende Leistungen in der klinisch-therapeutischen Arzneimittelforschung verliehen. Er ist mit 50.000 Euro dotiert.

Prof. Dr. med. Stefan Fröhling (links) und Prof. Dr. med. Hanno Glimm vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg und Dresden erhielten den Paul-Martini-Preis 2022 für herausragende Leistungen in der klinisch-therapeutischen Arzneimittelforschung.
Aus der Forschung für den Behandlungsalltag lernen – und umgekehrt
Prof. Dr. Stefan Endres, Ludwig-Maximilian-Universität München, würdigte die Arbeit der Preisträger im Namen der sechsköpfigen Jury„Die Preisträger haben gezeigt, wie molekulare Charakterisierung und Grundlagenwissen den Patient:innen zu Therapien verhelfen können und wie umgekehrt die Analyse einzelner Krankheitsfälle die Grundlagenforschung voranbringen kann. Diese bidirektionale Translation ist wegweisend sowohl für die onkologische Praxis wie auch die Entwicklung neuer Diagnostika und Therapeutika“, so Prof. Dr. Stefan Endres, Ludwig-Maximilians-Universität München, im Namen der sechsköpfigen Jury.(1)
Fröhling und Glimm leiten das Studienprogramm DKFZ/NCT/DKTK MASTER (Moleculary Aided Stratification for Tumor Eradication Research), an dem das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg und Dresden (NCT), acht weitere Klinika im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) sowie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) mitwirken. Dieses präzisionsonkologische Programm wendet sich an Patient:innen mit fortgeschrittenen seltenen Krebserkrankungen und an Patient:innen, bei denen eine Krebserkrankung in einem ungewöhnlich frühen Alter diagnostiziert wurde. Bei ihnen wird das Tumorgewebe systematisch molekular charakterisiert, indem entweder das komplette Genom, nur die proteinkodierenden Abschnitte der DNA (Exom) oder die mRNAs aktiver Gene (Transkriptom) sequenziert werden. Das bringt diesen Patient:innen die Chance auf gezielte weitere Therapieoptionen, wenn sich dabei Parallelen zu schon besser erforschten Krebsarten zeigen. Ziel des Programms ist aber auch, die betreffenden Tumorarten auf molekularer Ebene besser zu verstehen und daraus über das Individuum hinausgehend nutzbare neue Biomarker und therapeutische Ansatzpunkte abzuleiten. Das ist besonders für seltene Tumorentitäten von Belang, wie sie bei rund drei Viertel der Patient:innen des MASTER-Programms vorliegen.
Einsichten für individuelle Therapieentscheidungen
Eine Zwischenbilanz des Programms für den Zeitraum von 2012 bis Ende November 2018 zeigte seine Leistungsfähigkeit: Bei einem Drittel der bis dahin einbezogenen 1.310 Patient:innen konnte auf molekularer Basis eine gezielte Pharmakotherapie ausgewählt werden. Diese führte bei einem Viertel der Behandelten zu einem Therapieansprechen (objective response) und bei weiteren 30 Prozent zu einer Krankheitsstabilisierung. Das dokumentiert, dass die molekulare Tumorcharakterisierung auch bei seltenen Tumorarten die Chancen der Betroffenen verbessern kann. (2) (3)
Erkenntnisse für die Grundlagenforschung
An zwei Beispielen wird deutlich, wie die Preisträger im Rahmen des DKFZ/NCT/DKTK MASTER-Programms auch Erkenntnisse für das grundsätzliche Verständnis bestimmter Tumorerkrankungen herleiten konnten.
So zeigten die Preisträger mit ihrem Team beispielsweise, dass die sporadisch auftretende Form sogenannter Hybridtumoren von Nervenzellen, bestehend aus Anteilen eines Neurofibroms und eines Schwannoms mit Mutationen im Gen für die Rezeptorkinase ERBB2 assoziiert sind. Daraus leiteten sie ab, dass zur Behandlung der Kinaseinhibitor Lapatinib in Betracht gezogen werden kann, der die Aktivität von ERBB2 blockiert und bereits gegen Brustkrebs zugelassen ist. (4)
Eine andere Entdeckung betrifft das Protein BRAF. Lange schon ist bekannt, dass dieses Protein zu unkontrollierter Zellvermehrung beiträgt, wenn es an bestimmten Stellen durch Punktmutationen verändert ist. Doch auch ein in dieser Hinsicht unverändertes BRAF kann fehlfunktionieren, so die neue Erkenntnis, wenn es aufgrund einer Mutation anderer Art (Genfusion) an Zellmembranen verankert wird. Das wurde durch die molekulare Analyse des Glioblastomgewebes (ein Hirntumor) eines teilnehmenden Patienten deutlich. (5)
Erkenntnisse dieser Art kommen künftig auch Patient:innen außerhalb des MASTER-Programms zugute.
Literaturtipps
(1) Mitteilung der Paul-Martini-Stiftung: https://www.paul-martini-stiftung.de/paul-martini-preis/2022/
(2) Information zur MASTER-Studie für Patient:innen: https://www.sarkome.de/dokumente/aktuelles/96-nct-heidelberg-masterprogramm/file
(3) Zwischenergebnisse des Programms: https://aacrjournals.org/cancerdiscovery/article/11/11/2780/666418/Comprehensive-Genomic-and-Transcriptomic-Analysis
(4) Studie zur Wirksamkeit von Lapatinib bei Neurofibrom/Schwannom-Hybridtumoren: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7190903/
(5) Studie zum selbstinhibierenden BRAF-Fusionsprotein: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31558800/