Nobelpreise 2018: Von scharfgestellten Immunzellen und Antikörpern aus Viren
In Stockholm sind die Nobelpreise des Jahres 2018 verliehen worden. Die Preisträger aus den Kategorien Medizin und Chemie haben entscheidende Grundlagen für die Entwicklung neuer Medikamente gelegt.
Alle diesjährigen Nobelpreisträger für Physik, Chemie und Medizin während der feierlichen Preisverleihung in Stockholm am 10. Dezember 2018.
Medizin: Diese Leistungen wurden gewürdigt
Immunzellen sollen Fremdstoffe bekämpfen und gleichzeitig körpereigenes Gewebe in Ruhe lassen. Bei Krebszellen handelt es sich jedoch um solche körpereigenen Zellen, die aufgrund ihres unkontrollierten Wachstums zu einer Bedrohung geworden sind. Damit sie nicht vom Immunsystem erkannt werden, blockieren daher einige Tumorarten bestimmte Sensorproteine auf speziellen Abwehrzellen, den T-Zellen. Tumorzellen sind so in der Lage, das Immunsystem zu bremsen und somit ihrer Vernichtung zu entgehen.
Etliche Krebsmedikamente beruhen auf den Erkenntnissen der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger

Der US-Amerikaner James Patrick Allison erhielt den Medizin-Nobelpreis für seine Entdeckungen, wie sich diese Bremsen des Immunsystems für den Kampf gegen Krebs lösen lassen. Er schuf damit die Grundlage für eine neue therapeutische Option gegen Schwarzen Hautkrebs. Im Mittelpunkt seiner Forschungen stand das Protein CTLA-4. Der Japaner Tasuku Honjo beschäftigte sich mit dem Protein PD-1, das über einen anderen Wirkmechanismus das Immunsystem blockiert. Beide Proteine sitzen auf der Oberfläche von T-Zellen und verhindern normalerweise eine mögliche Überreaktion des Immunsystems. Genau dies nutzen Tumorzellen über eine Interaktion mit diesen sogenannten Checkpoint-Rezeptoren aus.
Die Arbeiten von Allison und Honjo haben zur Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Krebsmedikamente geführt, die Checkpoint-Rezeptoren blockieren und so die Bremsen der T-Zellen lösen können(1)
. Sie werden deshalb als Checkpoint-Inhibitoren bezeichnet. Anders als bei herkömmlichen Chemotherapeutika werden bei diesen Immunonkologika nicht alle schnell wachsenden Zellen abgetötet, sondern es kann gezielt die eigene Immunabwehr scharf gestellt werden.
In der EU sind bereits sechs Krebsmedikamente aus der Klasse der Checkpoint-Inhibitoren zugelassen. Sie werden unter anderem zur Behandlung bestimmter Formen von Schwarzem Hautkrebs, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, Blasen- und Nierenzellkrebs, Hodgkin-Lymphom, Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereiches und Merkelzellkarzinom eingesetzt.
Neben den T-Zellen mit ihrem T-Zell-Rezeptor steht dem Immunsystem auch eine zweite Art von Abwehrzellen zur Verfügung: die B-Zellen mit ihrem B-Zell-Rezeptor. Umgangssprachlich wird der B-Zell-Rezeptor auch Antikörper genannt und hat im Vergleich mit dem T-Zell-Rezeptor den entscheidenden Vorteil, dass er nicht nur fest in der Zellwand verankert vorliegt, sondern auch eine lösliche Form annehmen kann. Es gibt unzählige Arten von Antikörpern, wobei jede hochspezifisch genau ein Antigen bindet. Diesen Umstand nutzen Pharmaforscher, indem sie Antikörper gegen Moleküle entwickeln, die an bestimmten Krankheitsprozessen beteiligt sind. Beispielsweise wird bei vielen Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis ein entzündungsfördernder Botenstoff (TNFα) überproduziert. Mithilfe von Antikörpern kann dieser blockiert und so die Autoimmunreaktion gedämpft werden.
Chemie: Diese Leistungen wurden gewürdigt
Sir Gregory Paul Winter und George Pearson Smith haben mit dem Phagen-Display eine Methode entwickelt, um selektiv solche therapeutischen monoklonalen - also von einer Zelllinie (einem Zellklon) produzierten und gegen eine einzelne definierte Bindestelle des Antigens gerichteten - Antikörper herzustellen. Hierfür wurden sie mit dem diesjährigen Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet(2) .
Phagen sind eine Klasse von Viren, die nur Bakterien befallen und deshalb für Menschen unschädlich sind. Sie bestehen aus einer Proteinhülle, die das Erbgut des Virus enthält und an die Zellen andockt.
Um eine große Vielfalt an Antikörpern zu generieren, wird beim Phagen-Display ein Protein der Phagen-Hülle gentechnisch mit einem Teil eines Antikörpers gekoppelt. Anschließend werden die Viren in Bakterien vermehrt und über eine Oberfläche, auf der das Antigen (z.B. der Entzündungsbotenstoff) angebracht ist, geleitet. Hier bleiben nun nur die Phagen hängen, auf deren Oberfläche ein passender Antikörper sitzt, dessen Bauanleitung anschließend für die weitere Produktion analysiert werden kann. Heute sind monoklonale Antikörper aus der Medizin nicht mehr wegzudenken und werden unter anderem zur Therapie von Krebs-, Autoimmun- und Stoffwechselerkrankungen eingesetzt.
Chemie-Nobelpreis: Pharma-Unternehmen nutzen prämierte Phagen-Display-Technik zur Entwicklung neuer Medikamente

Smith und Winter teilen sich den Chemie-Nobelpreis 2018 mit Frances Arnold, die seit den 1990er Jahren zur gerichteten Evolution von Enzymen forscht (2). Enzyme sind Biokatalysatoren, also Moleküle, die chemische Reaktionen beschleunigen, ohne selbst verbraucht zu werden. Ohne sie gäbe es kein Leben, da der Stoffwechsel viel zu langsam ablaufen würde. Außerdem sind Enzyme wie Antikörper hochspezifisch und katalysieren jeweils nur eine einzige Reaktion. In der chemischen Industrie werden für viele Reaktionen extreme Temperaturen, teure Metallkatalysatoren oder große Mengen an Lösungsmitteln benötigt. Mithilfe von Enzymen können solche Reaktionen viel umweltschonender bewerkstelligt werden. Ähnlich wie bei Darwins Evolutionstheorie nutzt Arnold zur Entwicklung neuer Enzyme die gerichtete Mutation von Bakterien und die anschließende Auswahl derjenigen unter ihnen, die Enzyme mit den gewünschten Eigenschaften produzieren(3)
. Auf diese Weise wurden bereits Enzyme entwickelt, die chemische Reaktionen, etwa für die Herstellung einiger Arzneistoffe katalysieren.
Der Nobelpreis für Medizin wurde traditionsgemäß gemeinsam mit den Preisen der Kategorien Physik und Chemie am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, vom schwedischen König in Stockholm verliehen; am gleichen Tag wurde der Friedensnobelpreis in Oslo überreicht.
Literaturtipps: