Neues aus der Krebstherapie: Viren im Einsatz
Die Idee, Viren einzusetzen, die möglichst nur Tumorzellen infizieren, sich in ihnen vermehren und so zu einer Auflösung des Tumors (Onkolyse) führen, wird schon seit vielen Jahren verfolgt. Diese Viren – auch onkolytische Viren genannt – erscheinen in der Therapie von Krebserkrankungen erfolgsversprechend. Kanadische Wissenschaftler haben nun mit Hilfe von Pockenviren (Vakzinia-Viren) zeigen können, dass diese ganz gezielt Tumorzellen aufspüren und sich darüber hinaus sogar in Metastasen vermehren, ohne gesundes Gewebe anzugreifen.(1)
Stilisierte Darstellung von VirenDie aktuelle Arbeit beschreibt eine Phase I-Studie an 23 Patienten mit soliden Tumoren (z.B. Lungen-, Darm- oder Hautkrebs), die bereits Metastasen ausgebildet haben und nicht mehr auf etablierte Krebstherapeutika ansprechen. Die Studie diente primär dem Ziel, die Sicherheit des therapeutischen Ansatzes zu zeigen, und bescheinigte den onkolytischen Viren eine gute Verträglichkeit. Die Wissenschaftler konnten zudem nachweisen, dass sich die Viren dosisabhängig im Tumorgewebe inklusive der bereits vorhandenen Metastasen angereichert haben, während gesundes Gewebe keine Viren enthielt. Bei einigen Patienten konnte außerdem ein Ansprechen der Tumoren auf die Viren gefunden werden. Da eine Phase I-Studie naturgemäß nicht darauf ausgerichtet ist, die klinische Wirksamkeit eines Ansatzes zu belegen, müssen weitere klinische Prüfungen folgen. Voraussichtlich noch in diesem Jahr soll eine Phase II-Studie mit 120 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkrebs, bei denen die bisherige Standardtherapie versagt hat, gestartet werden.
Der Einsatz der onkolytischen Virustherapie wurde 1904 erstmals in der Literatur erwähnt. Die Umsetzung dieser Idee in die Praxis ist allerdings schon allein deshalb schwierig, weil die Viren nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Zellen unterscheiden. Dieses Problem haben die Wissenschaftler in der aktuellen Arbeit nun mit Hilfe der Gentechnologie in Angriff genommen. Die Forscher haben dazu das Gen für das Enzym Tyrosinkinase aus dem Pockenvirus entfernt. Da dieses Enzym für die virale Vermehrung erforderlich ist und verstärkt in Tumorzellen vorkommt, suchen die Viren nun gezielt Krebszellen und nicht gesunde Zellen heim. Zusätzlich wurde das onkolytische Virus mit einem Gen für einen Wachstumsfaktor ausgestattet, der den Angriff des Immunsystems auf den Tumor verstärkt.
Prinzipiell umfasst das Konzept der Onkolyse zunächst die direkte Zerstörung des Tumors durch Vermehrung und Freisetzung der Viren. Durch die Auflösung von Tumorgewebe werden dem Immunsystem des Patienten darüber hinaus auch weitere Tumorantigene angeboten, so dass der Patient mit der Bildung neuer Antikörper und einer hoffentlich stärkeren Immunreaktion reagieren kann. Zusätzlich, wie auch in der vorliegenden Studie erfolgt, können die Viren durch rekombinante Methoden neue Gene mit in den Tumor einschleusen, die wiederum diesen Prozess der Immunantwort verstärken.
Derzeit laufen weltweit mindestens 20 klinische Studien, die onkolytische Viren als neue Krebstherapeutika testen. Am weitesten fortgeschritten ist dabei ein Ansatz zur Behandlung des schwarzen Hautkrebses, der bereits Metastasen gebildet hat. Hierbei kommt ein Herpes simplex-Virus zum Einsatz. Weitere Viren in Erprobung gehören zur Gruppe der Adeno-, Reo- und Paramyxoviren. In China wurde bereits 2005 ein onkolytisches Virus zugelassen, das eine therapeutische Wirksamkeit bei Kopf- und Halstumoren gezeigt hat.
Am Beispiel der onkolytischen Viren wird wieder einmal deutlich, dass die moderne Molekularbiologie und Gentechnologie bei der Erprobung neuer therapeutischer Ansätze unverzichtbar sind. Auch bei Konzepten, deren Grundidee schon länger in der Wissenschaft diskutiert wird, kann die Gentechnologie die Translation von der Forschung in die klinische Entwicklung – und damit zum potenziellen Nutzen für den Patienten – möglich machen.
(1) Breitbach et al., Intravenous delivery of a multi-mechanistic cancer-targeted oncolytic poxvirus in humans, Nature, 2011, Volume 477, pp 99-102
Weiterführende Informationen: