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Waschen und Wiegen für neue Wirkstoffe

Membranproteine sind wichtige Angriffspunkte für Arzneimittelwirkstoffe. Viele benötigen bestimmte Lipide (Fettmoleküle) für ihre Funktion, doch die Unterscheidung zwischen spezifisch gebundenen Lipiden und Membranlipiden ist schwer. Ein internationales Forscherteam hat nun eine Strategie entwickelt, um dieses Problem zu lösen.

3D-Nachbildung einer Phospholipid-Doppelschicht der Zellmembran

Proteine, Fette, Seifen

Mehr als die Hälfte der Arzneimittelwirkstoffe interagiert als Teil ihres Wirkmechanismus mit Membranproteinen. Diese biologischen Makromoleküle sind in die wenige Nanometer dicke Schicht aus Lipiden eingebettet, die die äußere Begrenzung aller Zellen darstellt. Innerhalb der Membran können sich die vertikal nebeneinander angeordneten Lipide relativ frei bewegen und bilden zum einen eine Barriere für wasserlösliche Stoffe zwischen dem Zellinneren und der Umgebung. Zum anderen stellen sie die für die Verankerung, Form und Funktion von Membranproteinen notwendige Umgebung bereit. (1)

Um Membranproteine im Labor beispielsweise für die Arzneimittelforschung zu analysieren, müssen sie zuerst aus der Lipidmembran entfernt werden. Dazu werden Detergenzien eingesetzt, die – ähnlich wie Seife – die fettige Membran auflösen, wobei sie die Membranlipide von den Proteinen verdrängen. Membranlipide können unspezifisch an Membranproteine binden; bei einigen jedoch gibt es auch spezifische Wechselwirkungen, die für eine bestimmte zelluläre Funktion – wie z.B. die Signalweiterleitung – wichtig sind. Diese spezifisch gebundenen Lipide gehen beim Waschen der Proteine aus der Membran ebenfalls verloren, was ihre genauere Untersuchung erschwert.

In drei Schritten zum Ziel

Ein britisch-schwedisches Forscherteam hat nun eine Technik entwickelt, um dieses Problem zu lösen. Dabei setzten sie auf ein dreistufiges Vorgehen: Zuerst wurden die zu untersuchenden Proteine wie üblich mit Detergenzien aus den Zellmembranen extrahiert. Die gelösten Proteine wurden anschließend mit Lipiden aus der Zellmembran sowie Detergenzien in unterschiedlichen Konzentrationen gemischt. Membranlipide und Detergenzien konkurrieren nun um die vorhandenen Bindestellen am Protein und nur die Fette mit der stärkeren Bindung verbleiben am Protein. (2)

Im zweiten Schritt wurden die Gemische mittels Massenspektrometrie analysiert. Dieses Verfahren ist mit einer hochpräzisen Waage vergleichbar, bei der die Probenmoleküle zunächst in geladene Bruchstücke zerlegt werden, um anschließend deren Massen zu bestimmen. Je nach Art und Menge der zugesetzten Detergenzien und Membranlipide unterscheiden sich die Massenspektren. Ist die Bindung zwischen Membranlipid und Protein an einer Interaktionsstelle unspezifisch und somit nur schwach, kommt es zum Austausch der Lipide durch die Detergenzien, und das Signal für den Protein-Lipid-Komplex im Massenspektrum wird mit steigender Konzentration der Detergenzien immer kleiner. Liegt jedoch eine spezifische Interaktion zwischen Lipid und Protein vor, können die Lipide durch die Detergenzien nur schwer ersetzt werden. In der Folge bleibt das ursprüngliche Signal auch bei verstärkter Zugabe von Detergenzien erhalten. Zur Validierung ihrer Ergebnisse haben die Wissenschaftler als dritten Schritt den Austausch von Lipid- und Detergenzienmolekülen am Protein zudem in Computerprogrammen simuliert. Die auf diese Weise berechneten Bindungskräfte stützten die Resultate aus den Experimenten. (3)

Hilfestellung für die Antibiotika-Entwicklung

Als Modellsysteme nutzten die Forscher drei Membranproteine, darunter das Protein MurJ. MurJ befindet sich in der Membran des Bakteriums E. coli und ist als Flippase für den Transport spezieller Lipide in das Zellinnere zuständig, wo diese zum Aufbau der zusätzlich schützenden Zellwand bei gramnegativen Bakterien benötigt werden. Eine Blockierung des Proteins wäre somit ein möglicher Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Antibiotika. Der entscheidende Schritt für die Entwicklung neuer Wirkstoffe – nämlich die Aufklärung der 3D-Struktur von MurJ zusammen mit einem Lipid – gelang allerdings bisher noch nicht.

Mit ihrer neuen Technik untersuchten die Wissenschaftler daher das Bindungsverhalten verschiedener Lipide und fanden heraus, dass ein einzelnes Lipidmolekül eine Bindungsstelle an MurJ hat, an der es kaum ausgetauscht werden kann. Außerdem ermittelten sie den Faltungszustand des Proteins, also die dreidimensionale Proteinstruktur, in der ein Hemmstoff einfach, aber sehr fest an das Protein binden kann. Damit ist ein Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Antibiotika gegeben.

Schonend waschen

Die jeweils zur Extraktion eines bestimmten Membranproteins am besten geeigneten Detergenzien müssen zunächst durch Ausprobieren gefunden werden. Dabei können zu aggressive Detergenzien spezifische Protein-Lipid-Wechselwirkungen zerstören. Deshalb entwickelten dieselben Forschergruppen in Kooperation mit einem Team aus Deutschland eine neue Klasse von baumartig verzweigten Detergenzien, sogenannte Oligoglycerol-Detergenzien (ODGs). Ihre modulare Struktur erlaubt es, sie an das jeweilige Zielprotein anzupassen. Dadurch entfällt das Ausprobieren, und eine schonende Analyse wird ermöglicht. Spezifisch an Membranproteine gebundene Lipide bleiben dabei erhalten, so dass der Komplex als solcher weiter untersucht werden kann. (4) (5)

Diese neuen Techniken könnten in vielen Fällen die Analyse von Membranproteinen als Zielstrukturen und damit auch die Entwicklung neuer Wirkstoffe für eine Vielzahl von Therapiegebieten erleichtern. Bis diese jedoch zu zugelassenen Medikamenten führen, sind noch weitere Untersuchungen erforderlich.

Literaturtipps: