Mit medizinischer Biotechnologie tödliche Krankheiten besiegen
Lungenentzündung durch Pilze, Ebola, Tollwut, bestimmte Krebsarten – auf der Website drugpatentwatch.com ist eine Liste mit Krankheiten veröffentlicht, die nach Einschätzung der Experten mithilfe der Biotechnologie besiegt werden könnten(1)
.
Dass die medizinische Biotechnologie großes Potenzial zur Behandlung schwerer Krankheiten hat, zeigt sich auch daran, dass 2016 mehr als jedes Dritte zugelassene neue Arzneimittel ein Biopharmazeutikum war(2)
. Diese bieten neue Therapieoptionen zum Beispiel für Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen, Asthma sowie einigen seltenen Krankheiten. Anders als klassische Arzneimittel werden Biopharmazeutika mithilfe von gentechnisch veränderten Organismen, wie Bakterien, Hefe- oder Säugetierzellen hergestellt. Sie haben den Vorteil, dass man mit ihnen oft völlig neue molekulare Ziele erreichen kann, und sie viel zielgerichteter wirken.

Ganz oben auf der Liste von drugpatentwatch.com steht die Lungenentzündung (Pneumonie). Verursacher dieser Infektionskrankheit können Bakterien, Viren oder Pilze sein; 2016 waren Pneumonien zusammen mit Grippe-Erkrankungen die achthäufigste Todesursache in den USA. Besonders bei Patienten, deren Immunsystem – zum Beispiel aufgrund einer HIV-Infektion – geschwächt ist, kann eine Infektion mit einem Pilz aus der Gruppe der Pneumocysten lebensbedrohlich werden. Im April 2016 veröffentlichte ein Forscherkonsortium der US-Gesundheitsinstitute NIH seine Arbeiten zu Untersuchungen des Pneumocysten-Erregers. Unter anderem gelang ihnen dank biotechnologischer Methoden die Sequenzierung der Gene dieses Pilzes. Aus den gewonnenen Daten konnten anschließend viele neue Erkenntnisse unter anderem zu Stoffwechselwegen gewonnen werden, die als mögliche Angriffspunkte für neue Medikamente dienen könnten.
Der Sommer 2014 stand ganz im Zeichen einer großen Ebolafieber-Epidemie in Westafrika. Für diese in den meisten Fällen tödlich verlaufende Krankheit existiert bislang noch kein Arzneimittel; es können lediglich die Symptome gelindert werden. Einen Ansatz zur Behandlung von Ebola verfolgt man bei einer in Cambridge/Massachusetts ansässigen Biotech-Firma, deren Wissenschaftler an einem RNA (Ribonukleinsäure)-basierten Wirkstoff arbeiten, der spiegelbildlich zur RNA des Ebola-Virus ist. RNA ist ein Botenmolekül, das unter anderem die Bauanleitung für Proteine aus dem Erbgut des Virus an die Protein-produzierenden Stellen überträgt. Die spiegelbildliche „falsche“ Bauanleitung bewirkt, dass die passenden Ebola-Proteine nicht mehr hergestellt werden können, und sich das Virus nicht mehr vermehren kann(3)
. Weitere klinische Prüfungen sind allerdings erforderlich, um Wirkungen und Nebenwirkungen dieser RNA-Therapie im Detail zu erforschen.
Die Entwicklung eines vorbeugenden Ebola-Impfstoffs wäre ein großer Durchbruch. Da es sich bei den in Impfstoffen eingesetzten Antigenen um komplexe Biomoleküle, beispielsweise Proteine der Virushülle, handelt, werden viele vorhandene, aber auch in Entwicklung befindliche Impfstoffe gentechnisch oder biotechnologisch produziert. Dazu gehört auch eine Reihe von Ebola-Impfstoffen. Hier kommt hinzu, dass Arbeiten, ausgehend von intakten Ebolaviren, nur unter höchsten Sicherheitsanforderungen durchgeführt werden könnten. Ein forschendes Pharma-Unternehmen errichtet derzeit in Niedersachsen eine Produktionsanlage für den am umfassendsten geprüften Ebola-Impfstoff, da Produktionschargen die Voraussetzung für die Zulassung sind. Dabei handelt es sich um einen abgeschwächten Lebendimpfstoff, der auf einem für Menschen ungefährlichen Virus beruht, das gentechnisch mit einem Gen des Ebola-Virus für die Produktion eines Oberflächenproteins bestückt worden ist. Daher kann mit dem Impfstoff keine Ebola-Infektion ausgelöst werden, wohl aber eine Immunantwort bei den geimpften Menschen.
Genau wie Ebolafieber wird auch Tollwut durch ein Virus ausgelöst. Das Tollwutvirus attackiert das Zentrale Nervensystem (ZNS) und führt über eine Entzündung des Gehirns in fast allen Fällen zum Tod. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass jedes Jahr allein etwa 60.000 Menschen an Tollwut sterben(4)
. In Tübingen forscht ein deutsches Biotech-Unternehmen an einem RNA-basierten Impfstoff, der in Phase-I-Studien, also bereits mit (gesunden) Freiwilligen, getestet wird. Verabreicht werden bestimmte RNA-Moleküle, die die Bauanleitung für ein spezifisches Protein des Tollwutvirus beinhalten. Bestimmte Immunzellen des Menschen produzieren dann dieses Protein des Tollwutvirus, präsentieren es auf ihrer Oberfläche und aktivieren so andere Immunzellen. Wird der geimpfte Mensch einmal tatsächlich mit dem Tollwutvirus infiziert, können die Viren sofort von den bereits aktivierten Immunzellen zerstört werden. Dies war der erste Nachweis, dass ein mRNA-basierter Impfstoff zur Verhütung einer Infektionskrankheit wirksam sein könnte.
Auch bei der Behandlung von Krebserkrankungen kommt den Biopharmazeutika eine große Bedeutung zu. Von den klassischen Chemotherapeutika werden neben den Krebszellen auch andere Zellen getroffen, die sich schnell teilen, wie beispielsweise in Haaren und Schleimhäuten von Magen und Darm. Das körpereigene Immunsystem gegen die Krebszellen zu mobilisieren und dabei die gesunden Körperzellen möglichst zu schonen, ist Ziel der medizinischen Biotechnologie in der Onkologie. Tragen die Tumorzellen auf ihrer Oberfläche ein Merkmal, das sonst bei anderen Zellen im Körper nicht oder selten auftritt, kommt für die Behandlung auch der Einsatz von CAR-T-Zellen in Frage. Bei diesem Ansatz werden den Patienten T-Zellen des Immunsystems entnommen und im Labor mit einer Bindestelle (CAR = Chimärer Antigen-Rezeptor) für das Oberflächenmerkmal ausgestattet. Wenn man diese entsprechend ausgerüsteten T-Zellen anschließend wieder dem Patienten zuführt, docken die CAR-T-Zellen gezielt an den Krebszellen an und zerstören diese.
Alle diese Beispiele zeigen, dass die neuen Methoden der medizinischen Biotechnologie der Forschung einen enormen Schub gegeben haben. In weiteren Anwendungsgebieten wie Autoimmunerkrankungen, Diabetes, Osteoporose, Makuladegeneration, verschiedenen angeborenen Stoffwechselerkrankungen, Schlaganfall, Wachstumsstörungen und bei einigen Infektionskrankheiten ist die medizinische Biotechnologie längst etabliert und unverzichtbar. Durch das kontinuierliche Engagement der forschenden Pharma- und Biotech-Unternehmen dürften künftig noch weitere Anwendungsgebiete hinzukommen.
Literaturtipps