HIV mit Biotechnologie besser bekämpfen
Anfang März 2019 machte weltweit die Neuigkeit Schlagzeilen, dass es zum zweiten Mal gelungen sei, einen HIV-Patienten vollständig von seiner Erkrankung zu heilen, so dass dieser seine Medikamente absetzen konnte. Nach mehreren Jahrzehnten intensiver Forschung ist die vom HI-Virus ausgelöste chronische Infektion inzwischen gut behandelbar, doch Wissenschaftler arbeiten bereits an noch wirksameren Therapien mit dem Ziel, die Lebensqualität von HIV-Patienten weiter zu erhöhen oder die Krankheit eines Tages sogar ganz heilen zu können.

Angriff von mehreren Seiten
Das humane Immundefizienz-Virus – HIV – ist ziemlich heimtückisch: Zum einen befällt es spezifisch nur die Immunzellen unseres Körpers, hauptsächlich T-Lymphozyten (T-Zellen), aber auch Makrophagen und Monocyten. Dort schlummert es dann lange Zeit, bis es irgendwann ausbricht und zur Immunschwäche-Krankheit AIDS (erworbenes Immunschwächesyndrom) führt. Zum anderen gehört HIV zur Gruppe der Retroviren. Diese bauen ihren eigenen Bauplan in die DNA der befallenen Zellen ein. Mit zunehmendem Verlauf der Erkrankung sterben immer mehr Zellen der körpereigenen Abwehr ab, sodass die Patienten sehr empfänglich gegenüber anderen Infektionserregern werden(1)
.
Die bisher eingesetzten Medikamente greifen an verschiedenen Stellen in das Infektionsgeschehen ein. Einige verhindern beispielsweise, dass das Virus in die Immunzellen eindringen kann, indem sie den CCR5-Rezeptor blockieren. CCR5 hat eigentlich die Aufgabe, bestimmte Signalmoleküle im Blut zu erkennen, um die Immunzellen etwa zu Entzündungsherden zu lotsen. Doch HIV heftet sich an CCR5 und nutzt diesen Rezeptor als Einfallstor in die Zellen. Andere Arzneimittel wirken im Zellinneren und blockieren dort Moleküle, die an der Vervielfältigung des Virus-Erbguts beteiligt sind. Seit Mitte der 1990er Jahre werden mehrere Wirkstoffe in einer Tablette kombiniert, um Resistenzbildungen zu verzögern. Dessen ungeachtet ist es sehr wichtig, dass HIV-Patienten ihre Medikamente konsequent einnehmen. Auch wenn die Therapie durch die Kombinationen wesentlich einfacher und verträglicher geworden ist, geht sie teilweise immer noch mit erheblichen Nebenwirkungen einher(2)
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Viren mit Antikörpern aus dem Verkehr ziehen
Der neueste Trend in der HIV-Forschung sind sogenannte breit neutralisierende Antikörper, kurz bNAbs(3) . Wissenschaftler hoffen, mit ihrer Hilfe gleich mehrere Probleme lösen zu können. Neben einer erhöhten Sicherheit, verbesserten Wirksamkeit sowie einem länger andauernden Behandlungseffekt sollen mit bNAbs auch Resistenzen bekämpft werden. Denn während Virus-DNA in den infizierten Zellen kopiert und in das Genom integriert wird, schleichen sich Fehler ein. Und manchmal bewirken diese „Kopierfehler“, dass sich die Proteine, aus denen das Virus besteht, verändern. Dadurch waren Antikörper, die spezifische Protein-Strukturen von HIV erkennen sollten, oft schnell unwirksam. bNAbs bestehen aus mehreren Antikörpern, die jeweils andere Bereiche auf der Virushülle erkennen und binden können. Durch diese Kombination mehrerer Wirkstoffe fällt es den Viren schwerer, Resistenzen zu entwickeln. Die Antikörper, die entweder unter die Haut oder direkt ins Blut gespritzt werden, verbleiben zudem länger im Körper als die bisherigen HIV-Wirkstoffe und können – so die Arbeitshypothese der Forscher – seltener verabreicht werden(4) .
HIV aussperren
Ein anderer Ansatz zur HIV-Behandlung ist es, nicht das Virus direkt anzugreifen, sondern die Immunzellen vor einem Befall zu schützen. Dazu kann der CCR5-Rezeptor mit einem Antikörper blockiert werden – den Viren wird quasi die Tür vor der Nase zugeschlagen. Neben CCR5 eignet sich auch der CD4-Rezeptor: Über CD4 unterscheidet das HI-Virus Immunzellen von anderen Zellen; nach der Bindung an CD4 dringt es über CCR5 in die Zellen ein(5) . Erste Antikörper, die diese Oberflächen-Rezeptoren blockieren können, werden derzeit in klinischen Studien untersucht. Bereits in den USA zugelassen ist ein monoklonaler Antikörper – Ibalizumab – der bei HIV-Patienten zum Einsatz kommt, wenn deren Viren gegen die bisher verfügbaren HIV-Mittel resistent geworden sind. Dieser Antikörper verhindert Änderungen der dreidimensionalen Struktur des HI-Virus und/oder des Oberflächenrezeptors CD4 nach der Bindung an die Zelloberfläche und blockt so den Eintritt in die Zelle ab.
Wie das Immunsystem resistent gemacht werden soll
Es gibt aber auch Menschen, bei denen eine Behandlung mit CCR5-Blockern nicht notwendig wäre: Ihre Zellen tragen eine Mutation im Gen für den CCR5-Rezeptor (Delta32), die bewirkt, dass dieser fehlerhaft produziert und nicht mehr in die Zelloberfläche eingebaut wird. Bei etwa einem von 100 Menschen ist dies bei beiden Kopien des CCR5-Gens der Fall, sodass sie gegen viele HIV-Stämme resistent sind(6)
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Im Jahr 2007 wurde bei einem HIV-Patienten zusätzlich Leukämie festgestellt, eine Form von Krebs, bei der sich die Stammzellen, die Blut- und Immunzellen produzieren, unkontrolliert vermehren. Nachdem eine Chemotherapie nicht anschlug, führten die behandelnden Ärzte an der Berliner Charité eine Stammzelltransplantation durch. Bei dieser werden zunächst alle Patienten-eigenen Stammzellen zerstört und anschließend durch die eines Spenders ersetzt. Die transplantierten Spender-Zellen wiesen jedoch die Delta32-CCR5-Mutation auf und bildeten Immunzellen ohne diesen Rezeptor. Als Folge konnten die HI-Viren nicht mehr in die Immunzellen eindringen, und nach einiger Zeit konnte der Patient seine antiviralen Medikamente absetzen. Dieser Fall wurde als „Berliner Patient“ weltweit bekannt(7)
. Und im März 2019 machte ein weiterer Fall, dieses Mal in London, Schlagzeilen.
Aufgrund der schweren Nebenwirkungen eignet sich dieses Verfahren jedoch nicht als Standardtherapie zur Heilung von HIV. Wissenschaftler arbeiten bereits an anderen Techniken, um das Eindringen der Viren langfristig zu verhindern. Dabei spielen Gentherapien eine bedeutende Rolle; erste Studien zur gezielten Veränderung von CCR5 befinden sich bereits in Phase II. Aber auch bei Gentherapien müssen vor einer klinischen Anwendung noch viele Herausforderungen gemeistert werden. So muss eine Gentherapie beispielsweise alle Stammzellen erreichen können, damit keine Zellen mit CCR5 mehr produziert werden, die ansonsten weiterhin anfällig für einen HIV-Befall wären. Gleiches gilt für bereits gebildete und infizierte Immunzellen, in denen das Virus schlummert(8)
. Dabei wird auch darauf geachtet, dass nur Körperzellen verändert werden. Ein Fall wie in Hongkong, wo ein Forscher ohne Genehmigung der Behörden Eizellen während der künstlichen Befruchtung mit einem veränderten CCR5-Rezeptor ausgestattet hat, soll und darf sich nicht wiederholen.
Um auch bereits mit HIV infizierten Patienten in Zukunft verbesserte Behandlungsmöglichkeiten oder sogar die Aussicht auf eine vollständige Heilung bieten zu können, geht die Arbeit der Wissenschaftler in Forschungseinrichtungen und Unternehmen weiter. Dabei stehen die Wirksamkeit der Therapie und die Sicherheit der Patienten immer an erster Stelle.
Literaturtipps
(1) https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/hiv/32099
(2) https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/artikel-arzneimittel-forschung/therapien-gegen-aids.html
(3) https://directorsblog.nih.gov/2016/01/19/toward-an-aids-free-generation-can-antibodies-help/
(4) https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/aids/article/960541/interview-croi-kongress-neuen-therapieansaetze-hiv-aids.html
(5) https://www.aidshilfe.de/shop/pdf/3453
(6) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC299980/
(7) https://www.berliner-zeitung.de/wissen/hiv-heilung-der-berliner-patient-ist-kein-einzelfall-mehr-32167898
(8) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6304358/