Grüner Star: Mit einer Gentherapie die epigenetische Uhr zurückdrehen
Das Glaukom – umgangssprachlich auch als Grüner Star bekannt – ist eine degenerative Erkrankung der Nervenzellen im Auge. Davon sind insbesondere ältere Menschen betroffen, und bedingt durch den demografischen Wandel erkranken immer mehr Menschen an Glaukomen.(1) Weil diese Augenkrankheit bis zur Erblindung führen kann, hat ein Team der Harvard University eine Gentherapie entwickelt, um das beschädigte Gewebe zu reparieren.(2)

Absterben von Sehzellen beim Glaukom kann zur Erblindung führen
Beim Glaukom sterben etwa durch einen erhöhten Augeninnendruck nach und nach bestimmte Zellen – die Gliazellen – im Auge ab, deren Aufgabe es ist, die Signale von den Fotorezeptoren in der Netzhaut an das zentrale Nervensystem weiterzuleiten. Dies führt dazu, dass sich das Sichtfeld der Betroffenen immer weiter einschränkt, was bei einigen Patient*innen sogar bis zur Erblindung führen kann. Daher ist das Glaukom auch die zweithäufigste Ursache für Erblindungen in Europa, nach der Altersbedingten Makuladegeneration (AMD).(1)
Das Epigenetische Muster verändert sich mit dem Alter
Um dem Absterben der Gliazellen entgegenzuwirken und die Sehfähigkeit wiederherzustellen, hat ein Team der Harvard University in den USA in Kooperation mit Forschenden aus Yale, Standford und Sydney nun einen gentherapeutischen Therapieansatz entwickelt. Ausgangspunkt für ihre Ende 2020 in der Fachzeitschrift Nature publizierte Arbeit waren aktuelle Erkenntnisse zu epigenetischen Veränderungen im Prozess des Alterns.(2)
Die Epigenetik untersucht die Rolle von Veränderungen an der DNA, die den eigentlichen genetischen Code unverändert lassen, aber etwa das Auslesen bestimmter Gene beeinflussen. Insbesondere die Methylierung, eine chemische Modifikation der DNA, fungiert als An/Aus-Schalter für Gene. Dabei sind Gene in DNA-Abschnitten mit vielen Methylierungen meistens inaktiviert.
Das Muster dieser Veränderungen spielt insbesondere bei der Entwicklung von Zellen und Organismen eine Rolle, denn zu verschiedenen Zeitpunkten sind unterschiedliche Gene aktiv sind. Dies wird unter anderem durch die Position der Methylierungsstellen auf der DNA erreicht. Im Alter verändert sich diese Markierung der DNA und damit auch, welche Gene aktiv sind und welche nicht mehr.(3)
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Zellen zurück auf Anfang
Bereits seit 2006 ist bekannt, dass man sich diese Funktion der Methylierung zunutze machen kann. Damals veröffentlichte der japanische Stammzellforscher Shinya Yamanaka ein Verfahren, mit dem sich bereits spezialisierte Bindegewebszellen in Stammzellen – sogenannte induzierte Pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) – zurückprogrammieren lassen, wofür er 2012 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet wurde.(5)
Dazu nutzte er bestimmte Transkriptionsfaktoren, also solche Proteine, die an bestimmte Abschnitte der DNA binden und dort das Auslesen von Genen steuern. Die vier Transkriptionsfaktoren, mit denen sich Zellen zurück in Stammzellen programmieren lassen, werden daher auch als Yamanaka-Faktoren bezeichnet.
Auch das neue Verfahren zur Gentherapie des Glaukoms beruht auf diesen Faktoren, denn sie können epigenetische Veränderungen der zellulären DNA wieder löschen und die Zelle so in ihren Ursprungszustand zurückversetzen. Allerdings stand das amerikanisch-australische Team vor der Herausforderung, die altersbedingten Veränderungen des Epigenoms rückgängig zu machen, ohne dabei die Sehzellen des Auges in unspezialisierte Stammzellen umzuwandeln. Dazu bauten die Forscher*innen drei der vier Yamanaka-Faktoren in ein ansonsten harmloses Virus ein. Durch das Weglassen des vierten Faktors wurde die Sicherheit des Verfahrens erhöht, da dieser das für Stammzellen typische Zellteilungsprogramm beeinflusst und deshalb auch zur unkontrollierten Teilung, also zu Krebs führen kann.
Gentherapien zeigten deutliche Erfolge in Glaukom-Modellen
Am Glaukom erkrankte Mäuse, die mit diesem Virus behandelt wurden, zeigten eine teilweise Wiederherstellung von beschädigtem Netzhautgewebe und damit einhergehend auch deutliche Verbesserungen der Sehleistung. Zudem gelang es dem Team, denselben Effekt bei alten Mäusen mit verringerter Sehkraft sowie bei menschlichen Netzhautzellen in Zellkulturversuchen zu erreichen. Dabei stellte sich heraus, dass eine gezielte Entfernung von Methylierungen auf der DNA ein wichtiger Teil des Wirkmechanismus der Therapie ist.
Bevor diese Gentherapie bei Menschen mit Glaukom geprüft werden kann, müssen jedoch erst weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser möglichen Therapieoption erfolgen. Außerdem ist derzeit unklar, ob neben epigenetischen Veränderungen auch noch andere Prozesse in der Zelle an der altersbedingten Degeneration von Sinnes- und Nervenzellen im Auge beteiligt sind. So berichtete ein britisch-chinesisches Team von einer auf der Genschere CRISPR/Cas9 basierenden Therapie, bei der das Gen für einen bestimmten Wasserkanal in der Zellmembran ausgeschaltet wird. Dies führte bei Mäusen zu einer Verringerung des Augeninnendrucks und stoppte das Absterben von Nervenzellen im Auge.(6)
Literaturtipps
(1) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4717368/
(2) https://medicalxpress.com/news/2020-12-scientists-reverse-age-related-vision-loss.html
(3) https://www.aerzteblatt.de/archiv/213262/Diagnostik-und-Therapie-der-Glaukome
(4) https://www.nature.com/articles/s41586-020-2975-4
(5) https://biooekonomie.de/nachrichten/neues-aus-der-biooekonomie/mit-dna-test-das-biologische-alter-bestimmen
(6) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27256564/
(7) https://www.vfa-bio.de/vb-de/aktuelle-themen/forschung/nobelpreise-2012-fuer-reprogrammierung-von-zellen-und-zellulaere-signalweiterleitung.html
(8) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7054720/