Ein Riesengenom als Schlüssel für die Regenerative Medizin
Oft weisen Tiere erstaunliche Fähigkeiten und Eigenschaften auf, von denen Wissenschaftler auch viel über den Menschen lernen können. Ein Nacktmull bekommt zum Beispiel nur sehr selten Krebs, und mit Epilepsie-kranken Hunden wird erforscht, durch welche Faktoren diese Krankheit beim Menschen verursacht werden kann. In die Reihe der tierischen Vorbilder reiht sich auch der Axolotl ein.

Für Wissenschaftler ist der mexikanische Salamander, wie der Axolotl auch genannt wird, nicht nur interessant, weil er sein ganzes Leben im Larvenstadium verbringt und in der Lage ist, in kurzer Zeit Organe zu regenerieren oder ganze Gliedmaßen nachwachsen zu lassen. Sein Genom besitzt mit 32 Milliarden Bausteinen etwa die zehnfache Größe des menschlichen Genoms und ist das größte Genom, das bisher sequenziert werden konnte.
Anspruchsvolles Vorhaben
Bei der Genom-Sequenzierung wird die exakte Abfolge der vier Nukleotide (Adenosin, Thymidin, Guanosin, Cytidin) bestimmt, die als DNA-Bausteine fungieren und üblicherweise mit ihren Anfangsbuchstaben A, T, G und C abgekürzt werden. Könnte man ein komplettes menschliches DNA-Molekül (ungefähr 3 Milliarden Nukleotide) von einem Ende zum anderen mit einer Geschwindigkeit von 10 Nukleotiden pro Sekunde sequenzieren, bräuchte man etwas mehr als 34.000 Tage, also über 90 Jahre. Daher wird bei vielen Standard-Sequenzierverfahren die DNA in viele Teile zerstückelt und diese nach der Sequenzierung von Computerprogrammen anhand überlappender Enden zu einem Gesamtergebnis zusammengesetzt. Um herauszufinden, welche Gene für das erstaunliche Regenerations-Talent des Axolotls verantwortlich sind, mussten die Wissenschaftler dessen komplette DNA-Sequenz kennen. Dieses Riesengenom stellte sie jedoch vor große Herausforderungen. Denn es ist nicht nur sehr groß, sondern enthält auch viele Bereiche, die durch zahlreiche Wiederholungen kurzer Sequenzen gekennzeichnet sind. Um dieses Problem zu lösen, mussten die Forscher aus Dresden, Heidelberg und Wien zunächst eine neue Sequenziertechnik (PacBio) und Software entwickeln.(1)
In den Genen suchen
Doch der Aufwand hat sich gelohnt: In der DNA-Sequenz fanden die beteiligten Wissenschaftler Gene, die nur beim Axolotl sowie anderen Amphibienarten vorkommen, und die in sich regenerierendem Gewebe aktiv sind. Ziel der Wissenschaftler ist es nun, nach weiteren genetischen Auffälligkeiten Ausschau zu halten, die beispielsweise erklären könnten, wie der Axolotl verlorene Gliedmaßen wiederherstellt. Für die mexikanischen Salamander ist dies übrigens von existenzieller Bedeutung, da eigene Körperteile mitunter auch einem Artgenossen als Nahrungsquelle dienen können. Aufgrund der anatomischen Ähnlichkeit zu menschlichen Gliedmaßen erhoffen sich die Wissenschaftler zudem, anhand der Erkenntnisse über den Axolotl auch mehr über die Steuerung der Regeneration beim Menschen zu erfahren. Die Forscher haben bereits herausgefunden, dass das Pax3-Gen – es ist unter anderem an der embryonalen Entwicklung beteiligt – beim Axolotl komplett fehlt. Stattdessen verfügt dessen DNA über das eng verwandte Gen Pax7, das die Aufgaben bei der Bildung von Nerven und Muskeln übernimmt.(2)
Zurück auf Los
Inzwischen weiß man, welche Zellen für die Regeneration beim Axolotl zuständig sind, nämlich Bindegewebszellen, sogenannte Fibroblasten.(3)
Bei einer Verletzung wandeln sich diese zunächst in unspezialisierte Vorläuferzellen um; anschließend entwickeln sie sich in die Zellarten, die benötigt werden, zum Beispiel Knochen- oder Nervenzellen. Menschen verfügen zwar auch über Fibroblasten; Arme und Beine können sie jedoch nicht nachwachsen lassen. Stattdessen sind die Fibroblasten beim Menschen für die Narbenbildung nach Verletzungen verantwortlich. Bis zu einer Überführung der Axolotl-Erkenntnisse in geeignete Therapien müssen aber noch viele weitere Fragen geklärt werden.(4)
Daher wird weiterhin in dem jetzt entschlüsselten Genom des Axolotls geforscht, um dem Wunschtraum näher zu kommen, auch beim Menschen Gliedmaßen nachwachsen lassen zu können.
Literaturtipps:
(1) https://www.imp.ac.at/news/detail/article/the-largest-genome-ever-decoding-the-axolotl/
(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29364872
(3) http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/axolotl-forscher-entschluesseln-geheimnis-des-wunderlurchs-a-1230224.html
(4) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5534018/