Ein Bakterien-Gift als molekulare Spritze für Biopharmazeutika
Der Transport von großen Molekülen wie Biopharmazeutika in Zellen hinein stellt Pharmaforscher vor erhebliche Herausforderungen. Um dieses Problem zu lösen, hat ein Team von Wissenschaftlern nun bakterielle Gifte zu molekularen Spritzen umfunktioniert.

Komplexe Wirkstoffe mit Transport-Problem
Im Jahr 2018 wurden 38 Biopharmazeutika zugelassen, davon 24 mit einem neuen Wirkstoff. Sie stellten damit 58% aller Neuzulassungen. Ihr Vorteil gegenüber chemisch-synthetischen Wirkstoffen ist ihre hohe Spezifität, denn Biopharmazeutika interagieren nahezu ausschließlich mit ihrem Zielmolekül. Dadurch können auch solche Krankheiten behandelt werden, die man bisher nicht mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen angehen konnte. Allerdings sind Biopharmazeutika im Vergleich zu chemisch-synthetischen Wirkstoffen um ein Vielfaches komplexer. So besteht ein Antikörper aus etwa 1000-mal mehr Atomen als beispielsweise Paracetamol. Zudem müssen Biopharmazeutika für ihre Wirkung eine jeweils charakteristische 3D-Struktur einnehmen.(1)
Biopharmazeutika können nicht oral – als Tablette oder Kapsel – verabreicht werden, sondern müssen injiziert oder infundiert werden. Hinzu kommt, dass biopharmazeutische Wirkstoffe Zellmembranen aufgrund ihrer Größe nicht passieren können. Daher binden diese Moleküle meistens an Zielstrukturen im Blut oder auf der Oberfläche von Zellen. Um Proteine und andere biopharmazeutische Wirkstoffe an ihre Zielorte zu transportieren, werden Nanocarrier eingesetzt. Dies sind kleine Partikel beispielsweise aus Lipidmolekülen oder bioabbaubaren Polymeren, die die biopharmazeutischen Wirkstoffe transportieren und erst an ihrem Zielort freisetzen.(2)
Transportsysteme aus der Welt der Bakterien
Wissenschaftler der Abteilung Strukturbiochemie am Dortmunder Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie haben nun ein alternatives Transportsystem für Proteinwirkstoffe entwickelt. Dieses basiert auf dem Tripartite Toxin Complex (Tc) des Bakteriums Photorhabdus luminescens. Das Bakterium lebt in Fadenwürmern und tötet mit seinem Toxin Insekten, nachdem sie von den Würmern befallen werden. Tc ist aus drei Untereinheiten aufgebaut, wobei die erste Untereinheit (TcA) an Zellen andocken und sich in deren Membran einlagern kann. Die beiden anderen Untereinheiten – TcB und TcC – bilden zusammen eine Art Kokon, in dem sich ein Peptid-Toxin-Molekül befindet. Bindet der Kokon an die TcA-Untereinheit, öffnet diese eine Pore in der Zellmembran, sodass das Peptid-Toxin-Molekül aus dem Kokon durch die Pore in das Zellplasma eindringen und das dort abgespaltene Toxin zum Zelltod führen kann.(3)
Proteine im Kokon
Ziel der Forscher war nun, das bakterielle Gift durch andere Proteine auszutauschen und so Tc zum Transport von Wirkstoffen in das Zellinnere nutzen zu können. Dazu wurde zunächst mit verschiedenen Proteinen getestet, ob sie zusammen mit TcB und TcC stabile Kokons bilden. Es zeigte sich, dass Frachtproteine (Cargo) nicht auf eine bestimmte Struktur angewiesen sind, sondern vielmehr ihre Größe entscheidend für die Stabilität des Kokons ist. So dürfen die Proteine nicht zu groß sein, weil sie sonst nicht in die Hülle aus TcB und TcC passen. Zu kleine Proteine sitzen dagegen nicht fest genug im Kokon.
Anschließend untersuchte das Team, ob die mit den neuen Cargos beladenen Kokons auch in der Lage sind, ihre Protein-Fracht durch TcA in humane Zellen einzuschleusen. Hier kam der Struktur von Tc eine besondere Bedeutung zu. Denn nach der Bindung des Kokons an die Poren-bildende Untereinheit TcA, öffnet sich in dieser ein Kanal durch die Zellmembran. Dabei sind die Aminosäureketten am Kanalausgang stark negativ geladen. Trägt nun das Frachtprotein ebenfalls viele negative Ladungen, so wird es im Kanal abgestoßen und gelangt nicht in das Zellplasma. Alle mit dieser Methode erfolgreich freigesetzten Proteine wiesen daher eine positive Ladung auf. Neben der Ladung spielt aber auch die Form der Proteine eine Rolle für ihre Freisetzung. Bilden die Cargos 3D-Strukturen aus, die mit der Kokon-Hülle interagieren, bleiben die Proteine in der Kapsel hängen. Und um durch die schmale Pore zu gelangen, muss die Struktur der Cargo-Proteine außerdem sehr flexibel sein.
Mit Tc-Molekülen Wirkstoffe zielgenau transportieren
Proteine, die diese vier Kriterien – passende Größe, positive Ladung, flexible und nicht-interagierende Struktur – erfüllen, konnten mit dem molekularen Shuttle effektiv in das Zellinnere transportiert werden. Die beteiligten Wissenschaftler erhoffen sich davon beispielsweise neue Strategien, um therapeutische Protein-Wirkstoffe gezielt zum Beispiel in Krebszellen einzuschleusen. Bis dieses Ziel erreicht wird, sind jedoch noch weitere Forschungsarbeiten und Verbesserungen der molekularen Spritze erforderlich.(4)