Die Diagnose liegt in der Luft
Auch wenn es in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte bei der Behandlung von Lungen- und Bronchialkrebs gegeben hat, führt dieser in den meisten Fällen wenige Jahre nach der Diagnose zum Tod – fast einer von fünf Krebstoten war an dieser Krebsart erkrankt(1) . Ein Forscher-Team des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung (W.G. Kerckhoff-Institut) in Bad Nauheim hat nun einen Test entwickelt, mit dem Lungenkrebs über die Atemluft erkannt werden soll.

Wie die Wissenschaftler im Fachmagazin EMBO Molecular Medicine berichten, werden dazu sogenannte Boten-RNA-Moleküle (mRNA) untersucht(2)
. Wenn in einer Zelle ein bestimmtes Protein hergestellt werden soll, wird dessen Bauanleitung aus der DNA, die die Bauanleitungen für alle Proteine eines Menschen enthält, im Zellkern auf ein mRNA-Molekül kopiert. Anschließend gelangt die mRNA ins Zellplasma, wo auf Basis der Bauanleitung das benötigte Protein hergestellt wird. Während die DNA in allen Zellen gleich ist, gibt es in jeder Zellart neben universellen auch spezielle mRNAs, denn schließlich benötigt eine Nervenzelle andere Proteine für ihr Funktionieren als zum Beispiel eine Lungenzelle.
Für den neuartigen Test machen sich die Forscher genau diese Eigenschaft zunutze. Lungenkrebszellen haben Proteine, die ansonsten bei Lungenzellen nur im Stadium der Embryonalentwicklung zu finden sind, weil sie unter anderem eine schnelle Zellteilung und Spezialisierung bewirken. Die mRNA zweier Gene (GATA6 und NKX2), die aus „normalen“ Lungenzellen eines Erwachsenen Lungenkrebszellen machen, werden für den Test aus der ausgeatmeten Luft eines Patienten durch Kondensation extrahiert und sofort bei -80 °C schockgefroren. Danach werden sie anhand einer Schablone so stark vervielfältigt, dass sie messbar sind. Aus dem Verhältnis verschiedener Formen von GATA6- und NKX2-mRNA kann nun verglichen werden, ob dieses Verhältnis eher dem von normalen oder dem von Tumorzellen ähnelt. Als Vervielfältigungsmethode wird die sogenannte Polymerase-Kettenreaktion eingesetzt – ein Verfahren, das auch genutzt wird, um zum Beispiel den genetischen Fingerabdruck zu ermitteln.
Die Ergebnisse sehen bisher vielversprechend aus: Für die Studie wurde bei 138 Patienten aus Deutschland und Mexiko mit und ohne diagnostiziertem Lungenkrebs die Atemluft untersucht. Bei 98% der Lungenkrebspatienten schlug der Test an.
Dieser neue diagnostische Test soll insbesondere als Früherkennungsmethode zum Einsatz kommen, denn bei den meisten Lungenkrebspatienten zeigen sich im Anfangsstadium kaum Symptome. Wird dann die Diagnose gestellt, ist es oft schon zu spät, um den Krebs erfolgreich zurückdrängen zu können. Für die Autoren der aktuellen Studie hat das neue Verfahren das Potenzial, die Standard-Diagnostik – Röntgenuntersuchungen sowie die aufwändige Computertomographie und invasive Gewebeprobenentnahme(3)
– zu ergänzen und damit die Früherkennung zu verbessern sowie falsch-positive Diagnosen zu reduzieren(4)
. Als nächsten Schritt soll der Test nun in Kooperation mit Lizenzpartnern zur Marktreife entwickelt werden. Fallen auch die weiteren Testergebnisse positiv aus, könnte diese innovative biotechnologische Forschungsarbeit Patienten in absehbarer Zeit zu Gute kommen.
Literaturtipps
(1) https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/Krebserkrankungen.html
(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5167131/
(3) https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-007OL_l_S3_Lungenkarzinom_2018-03.pdf
(4) https://www.mpi-hlr.de/infos-services/presseinformationen/inhalt-presseninformationen/article/krebsdiagnose-mit-atemluft.html