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Zuckerscheren und Nanoblut

Aufgrund der demografischen Entwicklung sowie der bestehenden Altersgrenze für Blutspender sinkt die Zahl der Blutspenden in Deutschland; parallel wird ein Anstieg der benötigten Blutkonserven erwartet. Eine Lösung für dieses Problem könnte künstliches Blut als Transfusionsersatz sein. Noch ist dies nur Zukunftsmusik - verschiedene Forschergruppen arbeiten aber daran, diese seit langem verfolgte Idee nun endlich zu verwirklichen.

Eine mit Gummihandschuch überzogene Hand hält drei Röhrchen mit Bluttests

Zahl der Blutspenden sinkt – Bedarf an Blutspenden steigt

Im vergangenen Jahr wurden über dreieinhalb Millionen Vollblutspenden gesammelt. Insgesamt hat etwa die Hälfte aller Menschen in Deutschland schon einmal Blut gespendet, aber die Zahl der Spender sinkt – dabei werden täglich etwa 14.000 Blutspenden benötigt. (1) (2) (3) Als Alternative wird immer häufiger künstliches Blut genannt, bei dem die wesentlichen Blutbestandteile industriell hergestellt werden. Bislang scheiterten derartige Ansätze jedoch an der Komplexität dieses „ganz besonderen Saftes“ – wie ihn Goethe genannt hat.

Blut besteht aus zwei Hauptbestandteilen: Blutplasma und Blutzellen. Das Blutplasma macht etwa 55% des Blutes aus und enthält Wasser, in dem Proteine, Salze und andere Nährstoffe gelöst sind. Blutzellen wiederum werden in rote Blutkörperchen (Erythrozyten), weiße Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) unterteilt. Letztere spielen eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung, während die Leukozyten Komponenten des Immunsystems sind. Die Erythrozyten stellen die Mehrheit der Blutzellen; ihre Aufgabe ist der Transport von Sauerstoff von der Lunge zu den Zellen und der Abtransport von Kohlenstoffdioxid zurück. (4)

Die richtige Blutgruppe muss es sein

Für die Versorgung von Patienten wird Blut nach einer Spende in rote Blutkörperchen, Blutplättchen und Blutplasma aufgetrennt. So erhält jeder Empfänger nur die Bestandteile, die er oder sie benötigt. Allerdings stehen nicht alle Blutspenden auch allen Empfängerinnen und Empfängern zur Verfügung, denn vor der Bluttransfusion muss darauf geachtet werden, dass die Blutgruppe mit der der spendenden Person kompatibel ist. Dazu wird das AB0-Rhesus-Blutgruppensystem genutzt.

Dieses System basiert auf speziellen Oberflächenzuckern der Erythrozyten, die als A und B bezeichnet werden. Besitzt eine Person nur eines der beiden Moleküle auf seinen Erythrozyten, hat sie dementsprechend entweder Blutgruppe A oder B, besitzt sie beide Moleküle hat sie die Blutgruppe AB. Die Erythrozyten von Menschen mit der Blutgruppe 0 hingegen tragen weder A noch B. Sie eignen sich daher als Universalspender für rote Blutkörperchen und machen etwa 40% der potenziellen Spender aus. Wird einer Empfängerperson Blut einer nicht passenden Blutgruppe gegeben, kann dies zu schweren Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Störungen, allergischem Schock und Nierenversagen bis hin zu einer Verklumpung des Bluts führen. Der Grund dafür liegt in Blutgruppen-Antikörpern, die gegen die jeweils anderen Blutgruppen-Antigene gerichtet sind. So reagieren Trägerinnen und Träger der Blutgruppe B mit Antikörpern gegen das Blutgruppen-Antigen A und umgekehrt. Lediglich Menschen mit Blutgruppe AB bilden keine Blutgruppen-Antikörper – und sind daher Universalempfänger.

Mit Enzymen von A nach 0

Eine kanadische Forschungsgruppe hat nun eine Technik entwickelt, mit der Erythrozyten aus Spenderblut der Gruppe A in solche der Universalspendergruppe 0 umgewandelt werden können. (5) In Deutschland ist A mit über 40 Prozent die häufigste Blutgruppe. Wie die Gruppe im Fachmagazin Nature Microbiology schreibt, soll mit dieser neuen Technik bei einem Mangel an Blutkonserven das zusätzliche Problem der Blutgruppenkompatibilität umgangen werden. Kern der neuen Methode ist ein Enzympaar, das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus menschlichen Darmbakterien gewonnen haben. Dieses kann die spezifischen Zuckermoleküle auf Erythrozyten der Blutgruppe A abschneiden. Da die daraus resultierenden Erythrozyten keine Blutgruppenantigene mehr tragen, sind sie identisch mit denen aus Spenderblut der Gruppe 0.

Zwar sind bereits Enzyme mit ähnlichen Eigenschaften bekannt, aber nun gelang es dem Team erstmals mit ihren „Zuckerscheren“, dass diese auch direkt in den Blutkonserven aktiv sind. Bisher mussten die roten Blutkörperchen für die enzymatische Reaktion immer in spezielle Puffer überführt werden. Laut Transfusionsmedizinern stellt die neue Methode deshalb einen wichtigen Schritt bei der Entwicklung neuartiger Blutersatzprodukte dar. Allerdings weisen sie zugleich darauf hin, dass für die Enzym-Behandlung die Transportbeutel geöffnet werden müssten, was das Risiko für Kontaminationen erhöhen könnte. Außerdem müssen die Enzyme als bakterielle Proteine aus der Blutkonserve entfernt werden, da sonst bei der Transfusion das Risiko einer Immunreaktion des Körpers bestünde. (6)

Forscherteam erzeugt Erythrozyten-Imitate für medizinische Anwendungen

In einem Artikel in ACS Nano beschreibt ein Team aus China und den USA eine Technik, mit der sich mit Hilfe von Spender-Erythrozyten künstliche rote Blutkörperchen erzeugen lassen. (7) Zur Herstellung der „Rekonstruierten Roten Blutzellen“ (RRBCs), wie die Autorinnen und Autoren ihre Entwicklung nennen, wird zunächst ein Stützgerüst auf Kieselgel-Basis erzeugt. Hierfür werden Spender-Erythrozyten in verschiedenen Kieselsäure-haltigen Puffern inkubiert, wodurch sich um die Zellen eine feste Kieselgel-Hülle bildet. Dadurch und mit anschließendem starkem Erhitzen wird die typische konkave Struktur der roten Blutkörperchen auf das Gerüst übertragen.

Das Kieselgel-Skelett wird in mehreren Schichten mit natürlichen Zuckern bedeckt, anschließend wird das Kieselgel wieder aufgelöst. Zurück bleiben elastische Zucker-Polymere mit der Form natürlicher Erythrozyten. Im letzten Schritt, werden erneut Spender-Erythrozyten eingesetzt, deren leere Membranhüllen über die künstlichen Blutkörperchen gestülpt werden. Labortests ergaben, dass die RRBCs sowohl über längere Zeit stabil als auch flexibel genug sind, um ihre Form engen Blutgefäßen dynamisch anpassen zu können.

Vielfältige Möglichkeiten für die Nutzung der Erythrozyten-Imitate

Ziel der Entwicklung war es, RRBCs als Ausgangspunkt für mehrere medizinische Anwendungen zu nutzen. Werden sie etwa mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin gefüllt, können sie wie ihre natürlichen Pendants Sauerstoff und CO2 transportieren. Andere Modifikationen während des schrittweisen Aufbau-Prozesses der RRBCs eignen sich auch für andere Funktionen als den Gastransport, beispielsweise RRBCs als Biosensoren für den zellulären Energieträger ATP oder als sogenannte Nanocarrier. So werden Transportvehikel bezeichnet, die Wirkstoffe zielgerichtet zu ihren Bestimmungsorten bringen – zum Beispiel Chemotherapeutika in Tumorgewebe. Außerdem gelang es den Forschergruppen, die Oberflächen der RRBCs so zu designen, dass sie bestimmte bakterielle Toxine abfangen und ein Absterben natürlicher Zellen verhindern können.

Bis die neuartigen Blutersatzprodukte allerdings zur Reife entwickelt und alle notwendigen Sicherheitstests abgeschlossen sind, wird man weiterhin auf Blutspenden angewiesen sein – und daher sind alle dafür infrage kommenden Personen aufgerufen, Blut zu spenden. Ausführliche Informationen stellt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter www.blutspenden.de zur Verfügung.

Literaturtipps