Autoimmunerkrankungen – Mit neuen Strategien chronische Entzündungen therapieren
Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose und Diabetes mellitus Typ 1 – sie alle zählen zur großen Gruppe der Autoimmunerkrankungen. Der Begriff umfasst insgesamt etwa 100 verschiedene Krankheiten, deren Ursache in überschießenden Reaktionen des Immunsystems gegen körpereigene Zellen oder Gewebe liegt. Weltweit ist etwa einer von 20 Menschen von einer dieser Krankheiten betroffen. (1)

Unser Abwehrsystem
Normalerweise arbeitet das Immunsystem wie eine körpereigene Polizei: es erkennt eindringende Krankheitserreger und körpereigene Bedrohungen wie Krebszellen, um Abwehrreaktionen zu starten. Gleichzeitig erinnert es sich an die Gefahr und baut über die Zeit ein immunologisches Gedächtnis auf, um bei erneutem Kontakt schneller reagieren zu können. Dazu nutzt der Körper ein komplexes System, das aus einem Zusammenspiel bestimmter Moleküle (humorales Immunsystem) und mehrerer Gruppen spezialisierter Zellen (zelluläres Immunsystem) besteht. Allerdings muss dieses System genau ausbalanciert werden, denn sowohl eine zu schwache als auch eine überschießende Immunantwort oder die fälschliche Einstufung körpereigener Strukturen als fremd können zu schweren Erkrankungen führen. (1)
Biopharmazeutika verbessern Lebensqualität von Patienten mit Autoimmunerkrankungen
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten mit vielen Autoimmunerkrankungen verbessert. Dies wurde vor allem durch verbesserte molekulare Diagnostik, etwa Tests zum Nachweis von Autoantikörpern, neue Bildgebungstechniken sowie Fortschritte in der medikamentösen Therapie ermöglicht. So hat die Einführung von Biopharmazeutika in der Rheumatologie vielen Arthritis-Erkrankten, die auf die Standardtherapie mit niedermolekularen Immunsuppressiva wie Cortison und Methotrexat nicht (mehr) hinreichend angesprochen haben, zu einer deutlichen Reduktion von Gelenkschmerzen und –zerstörungen verholfen. Auch nimmt der Anteil der erwerbstätigen Rheumapatientinnen und patienten seit Jahren kontinuierlich zu. (2)
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Die Mehrzahl der Biopharmazeutika aus diesem Bereich sind monoklonale Antikörper, die Botenstoffe des Immunsystems abfangen und so die Entzündungsreaktion hemmen. Allerdings ist es für die meisten Autoimmunerkrankungen bisher nicht gelungen, diese ursächlich zu bekämpfen oder gar eine Heilung zu erreichen. Neben dem komplexen Wechselspiel zwischen den Komponenten des noch immer nicht vollständig erforschten Immunsystems, ist der Krankheitsverlauf sehr individuell, so dass sich nur schwer allgemein gültige Aussagen für einzelne Krankheitsbilder treffen lassen. (4)
Plasmazellen halten chronische Entzündung bei Lupus erythematodes aufrecht
Auch der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine der Autoimmunerkrankungen, die bisher nur symptomatisch behandelt werden können. Die Erkrankung geht mit Entzündungen im ganzen Körper einher, in schweren Fällen kommt es zu Blutarmut sowie Entzündung von Herz und Niere. 2011 wurde das erste Medikament seit 50 Jahren zur Behandlung des SLE zugelassen: das Biopharmazeutikum Belimumab. Dieser Antikörper verhindert, dass das Zytokin Baff zu einer Aktivierung von B-Zellen führt. Vorher erfolgte die Therapie primär durch Behandlung der Symptome mit allgemein entzündungshemmenden und immunsuppressiven Medikamenten. Nun hat ein Wissenschaftlerteam der Berliner Charité und des Deutschen Rheumaforschungszentrums im renommierten Fachblatt New England Journal of Medicine eine mögliche neue Strategie beschrieben, um SLE mithilfe monoklonaler Antikörper spezifisch zu therapieren. (5)
Im Mittelpunkt der neuartigen Behandlung steht das Molekül CD38. Dieses Enzym befindet sich insbesondere auf der Oberfläche von Plasma-B-Zellen, die zum Immungedächtnis gehören. Aufgabe der Plasmazellen ist es, kontinuierlich Antikörper gegen bereits bekämpfte Erreger zu produzieren. Richten sich diese Antikörper wie bei SLE jedoch gegen körpereigene Strukturen, halten Plasmazellen durch kontinuierliche Produktion von Autoantikörpern die Entzündung aufrecht. In Voruntersuchungen konnte das Team bereits zeigen, dass CD38 bei SLE-Betroffenen vermehrt auch auf anderen Zellen, etwa T-Zellen, sowie im Blut nachweisbar ist. (6)
Mit einem Antikörper das Immungedächtnis löschen
Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelten die Forscherinnen und Forscher eine Therapie für zwei SLE-Patientinnen, bei denen der Lupus einen schweren Verlauf genommen hatte. Um die Ausschüttung der Autoantikörper durch Plasmazellen zu verringern, wurden sie vier Wochen lang mit einem monoklonalen Antikörper behandelt, der spezifisch an CD38 bindet. Durch die Therapie gingen die Level an Autoantikörpern und damit verbunden auch die Krankheitssymptome stark zurück und blieben über mehrere Monate stabil. Zugleich wurden keine nicht akzeptablen Nebenwirkungen beobachtet. Nun soll in einer größeren Studie untersucht werden, ob der Einsatz dieses bereits gegen multiple Myelome zugelassenen Antikörpers auch bei weiteren Lupus-Erkrankten sicher und wirksam ist.
Schiedsrichter unter den Immunzellen
Ein mögliches Risiko der Therapie ist eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, denn durch das Medikament werden auch Plasmazellen gestört, die schützende Antikörper gegen Krankheitserreger herstellen. Bei der Suche nach einem Ansatz zur gezielten Unterdrückung der unerwünschten Immunantworten rückt deshalb seit einigen Jahren eine spezielle Gruppe der Immunzellen in den Fokus der Wissenschaft, nämlich die regulatorischen T-Zellen – kurz: Tregs. (7)
Aufgabe der Tregs ist die Ausbalancierung von Immunreaktionen. Dazu können sie etwa antientzündliche Botenstoffe wie Interleukin-10 ausschütten, aber auch durch direkten Zell-Zell-Kontakt bei autoreaktiven Zellen den programmierten Zelltod einleiten. Bei vielen Autoimmunerkrankungen ist jedoch das Gleichgewicht zwischen diesen Schiedsrichterzellen und den überreagierenden Immunzellen gestört, etwa weil die Tregs in ihrer Zahl oder Funktion gehemmt sind.
Behandlung mit Treg-Zellen soll Immunsystem ausbalancieren
Ziel der neuartigen Treg-Zelltherapien ist es, das natürliche Gleichgewicht zwischen regulatorischen und Effektorzellen wiederherzustellen. Bereits vor 30 Jahren hatte eine Arbeitsgruppe aus Australien zeigen können, dass die Behandlung von Ratten mit Tregs die Abstoßungsreaktionen des Immunsystems auf ein Organtransplantat unterdrücken kann. Laut einer Übersichtsarbeit vom September laufen bereits 12 klinische Studien mit Treg-Zelltherapien bei Autoimmunerkrankungen. Die Hälfte dieser Projekte ist auf Typ 1-Diabetes fokussiert, aber auch bei anderen Krankheiten wie der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn werden die regulatorischen T-Zellen bereits in Phase-II-Studien eingesetzt. (8)
Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Form der Immuntherapie ebenfalls sicher ist und in mehreren Studien auch die gewünschte Wirksamkeit erreicht wurde. Sollte die Translation in den klinischen Alltag gelingen, wäre dies ein weiterer wichtiger Schritt, um die Behandlung schwerer chronischer Autoimmunerkrankungen zu verbessern.
Literaturtipps
(1) https://www.fr.de/ratgeber/gesundheit/wenn-abwehrkraefte-ruder-laufen-10971149.html
(2) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/joim.12395
(3) http://www.vfa-bio.de/download/bcg-vfa-bio-biotech-report-2020.pdf
(4) https://www.drfz.de/wp-content/uploads/Ergebnisse_Kerndokumentation_2018.pdf
(5) http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Klinik-und-Poliklinik-fuer-Dermatologie-und-Allergologie/de/AbteilungenSprechstunden/Autoimmunerkrankungen/FAQ/index.html
(6) https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2023325
(7) https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/autoimmunerkrankungen_gezielt_behandeln/
(8) https://www.mdpi.com/1422-0067/21/19/7015